Offwidth - gefürchtete Risse

Offwidth – die gefürchteten Risse, aber warum?

Inhaltsverzeichnis

Offwidth-Klettern: Vielen Sportkletterern zieht es schon bei der Vorstellung, in der fünften Seillänge kaum gesichert über dem Boden zu hängen, den Magen zusammen. Auf die Frage: “Wer muss diese Länge Vorsteigen?” folgt deshalb häufig betretenes Schweigen.

Denn Offwidth-Strecken sind nicht nur kaum abzusichern, die schmalen Grate in der Felswand sind selbst für erfahrene Kletterer eine Herausforderung. Bewaffnet mit dem einen großen Cam – denn mehr will man aus Gewichtsgründen auch nicht mitnehmen – klemmt man sich in Ritzen, nie sicher, wo der Fuß den nächsten Halt findet, oder wie man überhaupt oben ankommen soll.

Eine Gruselvorstellung, solche Höhen mit nur einem Sicherungspunkt zu erklimmen. Aus lauter Verzweiflung dient dann der einzige Camalot irgendwann nicht nur als Sicherung, sondern auch als Fortbewegungsmittel. Kaum mehr als richtiges Klettern zu bezeichnen, ist es eher der verzweifelte Versuch, die eigene Angst zu überwinden.

Rein in den Riss, mit allem was geht. Foto: Andrew Burr
Rein in den Riss, mit allem was geht. Foto: Andrew Burr

Das sind Vorstellungen, die wahrscheinlich so mancher europäische Kletterer kennt. Und auch mir ging es lange so und ich war froh, wenn die Offwidth-Längen beim Vorsteigen nicht mir zufielen. Bis jetzt! Ich habe mich von dieser Furcht kuriert! Und zwar auf die harte Weise, in dem ich Offwidth geklettert bin.

Offwidth Klettern – aller Anfang ist eng

Angefangen hat alles in Südfrankreich, nicht gerade die Region, die man mit Rissen und noch weniger mit Offwidth-Kletterei verbindet. Doch es gibt dort das kleine verschlafene Dörfchen Annot, das von diesen gruseligen Linien überschattet wird. Vor Ort treffen wir Freunde an, die riesige Camalots am Gurt haben und damit versuchen, einen Offwidth zu bändigen – was auch meine Neugier weckt. Also los, die überdimensionalen Klemmgeräte an den Gurt geclippt und dann alles, was geht in diesen Riss stecken, der zu breit für meine Hände, aber zu schmal für meinen Körper ist. Quetschen, Zwängen und Schieben um irgendein Körperteil zu verklemmen, und dann der Aha-Effekt: Es geht doch! Also gleich in den nächsten längeren Riss: Etwas gruseliger, und ich muss meinen Mut zusammen nehmen, aber nach geduldiger Zentimeterarbeit, komme ich oben an. Also sind diese Monster doch kletterbar und gar nicht so schlimm. Die Angst ist genommen!

Dann geht es nach Indian Creek, wo es unzählige Routen dieser Kategorie gibt, um die die meisten Kletterer jedoch einen großen Bogen machen. Aber ich bin voller Motivation, denn “ich kann ja jetzt Offwidth klettern”, denke ich mir zumindest. Wie alle Risse in Indian Creek, sind auch die fetten Risse hier viel glatter und unausweichlicher als die, die ich aus Europa kenne. Egal, rein, mit allem was geht: Knie, Oberschenkel, Schultern, Arme und vielleicht auch ein bisschen den Kopf verklemmen. Die Amerikaner belächeln mich, wenn ich beide Risswände nach außen wegpresse und versuche, mich so hochzuarbeiten: “European Style”, bekomme ich zu hören. Ständig verklemmt sich das Seil unter meinem Bein oder den Füßen und dann komme ich nicht weiter, ätzend! Aber nach hartem Kämpfen komme ich doch noch oben an. Danach bin ich ganzkörper-platt, übersät mit blauen Flecken und mein Sicherer ist froh, nach stundenlangem Aufpassen endlich erlöst zu sein. Trotzdem muss ich wieder und wieder einen Offwidth versuchen – doch warum? Schwere Frage. Suche ich den Schmerz? Nicht wirklich, aber es macht einfach Spaß – zumindest, wenn man wieder unten ist, dann sind nämlich plötzlich alle Strapazen vergessen.

Wie immer: Übung macht den Meister

Caro North in Indian Creek
Ein vergleichsweise harmloser Riss. Foto: Lukas Mathis

Es bleibt immer ein Kampf, aber ich lerne immer mehr Tricks, um die Zeit für meinen Sicherer zu verkürzen. So ist es tatsächlich einfacher, die Cams nach oben hin mitzuschieben, denn beim Darübersteigen passiert es teilweise, dass man sie mit dem Fuß versehentlich rauskickt. Die dabei anzuwendende Technik lautet: Die Cams jeweils mit einer 60 cm Schlinge zu verlängern. Das erleichtert mir das Klettern, spart Kraft und schont vor allem meine Zähne. Diese habe ich vorher benutzt, um das Seil hochzuhalten während ich den Cam weiterschob. Nicht zu empfehlen!

Übrigens helfen die Butterfly-Methode (mit beiden Händen in den Riss spreizen), die Double-Fist Technik (sich mit beiden Fäusten verklemmen) – oder eine Mischung aus Beidem – dabei, sich nicht direkt als Europäer zu enttarnen. Die Erkenntnis daraus: Diese speziellen Techniken sind tatsächlich hilfreich, auch wenn ich es am Anfang nicht glauben wollte! Die Offwidth-Klettereien bleiben anspruchsvoll, und jede ein Kampf für sich. Aber mittlerweile mache ich keinen Bogen mehr drum herum, sondern gehe selbstbewusst darauf zu – und bei der nächsten Mehrseillänge übernehme ich freiwillig deren Vorstieg. Warum also diese Riesen so fürchten? 🙂

Zuletzt aktualisiert: 04.04.2023

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Bergfreundin Caro North

2 Kommentare zum Artikel

  1. Stefan 3. April 2021 15:53 Uhr

    Allen, die sich wirklich ernsthaft und über die gängigen Floskeln hinaus mit dem Thema Riss-/Offwidth-Klettern in allen technischen Raffinessen beschäftigen wollen, sei das ultimative Standardwerk "Crack Climbing" von Pete Whittaker (lebende Riss-Legende, Erstbegeher von Century-Crack, Speed-Rekordhalter im Rope-Solo-Stil am El Capitan) ans Herz gelegt. Schnell wird deutlich, dass es für jede Rissbreite und Lage die perfekte Klemmtechnik gibt - von wegen Augen zu und irgendwie durchquälen ;-) Zwar auf Englisch, aber perfekt bebildert! Es lohnt sich, hat mich persönlich sehr vorwärts gebracht :-D

  2. Salvatore 5. September 2018 08:43 Uhr

    Beängstigend & Beeindruckend zugleich...

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