Ein Risiko kann man eingehen, oder es vermeiden. So weit, so bekannt. Was sollte man sonst noch mit dem Risiko anfangen? Wozu braucht es einen sperrigen Begriff wie „Risikomanagement“? Ganz einfach: Risiko ist kein diffuses Bauchgefühl, sondern ein komplexes und durchaus fassbares Element vieler Bergtouren.
Beim Risikomanagement soll dieses immer vorhandene Risiko durch Planung, Systematik und situationsgerechtes Verhalten auf ein akzeptables Maß reduziert werden. Dafür wird das Risiko in seine vielen Komponenten „zerlegt“, die man erkennen, aufschlüsseln und bewerten kann. Dann wägt man Gefahren und Chancen (Wünsche, Ziele, Werte) ab und steuert sein Verhalten so, dass das resultierende Risiko unterhalb eines akzeptierten Niveaus bleibt.
Theoretisch wäre damit das Risikomanagement erledigt. In der Praxis zeigen sich aber jede Menge „Unschärfen“, die den Vorgang schwierig bis unmöglich machen. Wie all das in den Details abläuft, schauen wir uns jetzt näher an.
Begriffsklärung: Was ist Risiko?
Zunächst muss der abstrakte Begriff mit Leben gefüllt werden. Sonst bleibt es bei dem diffusen Bauchgefühl, dass sich am Berg einstellt, wenn man sich persönlichen Grenzen nähert. Dieses Bauchgefühl ist durchaus nützlich, doch es ist keineswegs immer verlässlich und bewertet einzelne Risikokomponenten mitunter völlig falsch. So kann die Absturzgefahr überbewertet werden, während der drohende Steinschlag ignoriert wird.
Versicherungen haben es da etwas einfacher. Sie berechnen Risiken als Schadenswahrscheinlichkeiten, die sich wiederum aus Schadensausmaß x Eintrittswahrscheinlichkeit ergeben: „Weiß man zum Beispiel aus der Statistik von Verkehrsunfällen, dass (Achtung: angenommene Fantasiezahlen!) in einem Jahr 10.000 Autounfälle (Eintrittswahrscheinlichkeit = 10.000 Fälle /Jahr) passieren mit einem durchschnittlichen Schadenswert von 5000 Euro (Schadensausmaß = 5000 Euro / Fall), so muss die Versicherung zur Abdeckung dieses Risikos 10.000 Fälle/Jahr x 5000 Euro/Fall = 50 Mio Euro / Jahr bereithalten (also durch Prämien einnehmen…)“.
Risiko am Berg
Am Berg jedoch können und wollen wir nicht einfach alles in Geldsummen umrechnen. Hier sind wir ganz verschiedene Gefahren wie Wettersturz, Steinschlag oder Absturz ausgesetzt, und aus dieser Gemengelage ergibt sich dann das Gefahrenpotential einer Tour. Das Risiko wäre dann gemäß des Versicherungsbeispiels das Gefahrenpotential multipliziert mit der Eintrittswahrscheinlichkeit. Letztere lässt sich allerdings nicht wirklich beziffern. Auch das Schadensausmaß ist abgesehen von kalkulierten Krankenhauskosten oder Verdienstausfällen kaum bezifferbar.
Außerdem kommen als Einflussfaktoren noch die Anforderungen der Tour und die körperlichen und psychischen Voraussetzungen der Tourengänger hinzu. Ein Artikel im Bergwelten-Magazin beschreibt das Risiko am Berg sogar als eine Frage hauptsächlich der Perspektive. Außerdem ergründet der Artikel die Motive, warum Menschen überhaupt Risiken im Gebirge eingehen. Für unseren Beitrag hier führt das etwas zu weit weg vom Kernthema Risikomanagement.
Entscheidung nach dem Dreischritt
Risikomanagements ist nicht nur eine simple Folge von ja/nein Entscheidungen, sondern beinhaltet weit mehr Überlegungen und Optionen. Dennoch gibt es mit dem Dreischritt einen Filter, der die Komplexität der vielen Einflussfaktoren so weit reduziert, dass praktikables und zügiges Handeln während einer Tour möglich wird. Er besteht aus den drei Schritten:
- Erkennen
- Einschätzen
- Entscheiden
Ein Beispiel für Schritt 1., das Erkennen, ist der Blick in Karte und Führer. Auf der Karte zeigen sich beispielsweise schon bei der Planung einer klassischen Hochtour viele „Problemzonen“ des Geländes. Das können spaltige Gletscherpassagen oder steile Firnaufschwünge sein. Ob die Grate überwechtet oder die Gipfelfelsen brüchig sind, verrät manchmal auch der Blick in die Führerliteratur.
Schritt 2. und 3. wäre dann, sich für oder gegen die Tour zu entscheiden und im Falle von ersterem die Ausrüstung entsprechend der getroffenen Risikoeinschätzung anzupassen.
Vier Möglichkeiten der Entscheidung
Vor dem eigentlichen Aufbruch wird dann nochmals der Wetterbericht gecheckt und vor Ort im Gelände erfolgt eine weitere Lageeinschätzung, die dann wiederum über die Art der Fortbewegung und Sicherung entscheidet. Schritt 2 und 3 gehen hier fließend ineinander über.
Der letzte der drei Schritte, die Entscheidung, wird unter Umständen mehrfach während der Tour wiederholt. Denn die von daheim und aus der Ferne erfolgte Risikoerkennung und -Einschätzung kann sich als falsch erweisen. So kann bspw. mehr Schnee als erwartet liegen oder das Wetter kann sich kurzfristig anders entwickeln.
Generell ergeben sich vier Möglichkeiten bei Schritt 3., der Entscheidung:
- Risikovermeidung: die Berg-/Skitour (bei den Verhältnissen) einfach bleiben lassen
- Risikoübertragung: sich einem Bergführer anschließen, wenn man die Risiken selbst nicht einschätzen kann
- Risikominimierung durch Sicherheitsmaßnahmen.
- Risikoakzeptierung durch in Kauf nehmen der Risiken angesichts des zu erwartenden Erfolgs/Gewinns
Instrumente zur Bestimmung des Risikos
Die oben genannten drei Schritte der Entscheidung können durch diverse spezielle Instrumente erleichtert und konkretisiert werden. Für alle Spielformen des Bergsteigens, sommers wie winters, stehen solche Hilfsmittel zur Verfügung. Schauen wir uns die Wichtigsten und Bekanntesten kurz an:
3 x 3 Tourenplanung und Risikobox
Das 3×3 Schema ist eine Filter- und Reduktionsmethode, die vom Schweizer „Lawinenpapst“ Werner Munter erfunden wurde. Dieses Schema unterteilt sich in drei Aspekte (Mensch, Gelände und Verhältnisse), die in drei Situationen (zu Hause, vor Ort und auf Tour) bewertet werden. Der Aspekt „Mensch“ umfasst dabei Motivation, Kompetenz und Fitness aller an der Tour Beteiligten.
Die Aspekte Gelände und Verhältnisse überprüfen wir anhand von Karten, Führerliteratur, Lawinenlagebericht und Wetterprognosen. Am Beginn der Tour überprüfen wir die Tagesform aller Mitglieder, gleichen die Realität im Gelände mit den Vorstellungen ab, und prüfen erneut die Wetterverhältnisse.
Unterwegs schauen wir, ob Führungstaktik und Vorsichtsmaßnahmen passen, und ob die Kompetenzen der Gruppenmitglieder den technischen Anforderungen und dem Gelände gerecht werden. Verhältnisse und Wetterlage bleiben möglichst jederzeit im Blick.
Die Risiko-Box ist ein vom Schweizer Alpenclub entworfenes Formular, dass 12 Risikokriterien auflistet, die in einer Farbskala von grün bis rot als sicher oder unsicher bewertet werden können. Die Fakten und Informationen aus der 3 x 3 Tourenplanung lassen sich so in ein Bewertungsschema überführen. Es kann eine Empfehlung für oder gegen die Durchführung einer geplanten Tour abgeleitet werden.
DAV SnowCard
Die DAV SnowCard ist ein bewährtes Hilfsmittel für die Bewertung der Lawinengefahr. Sie hilft Freeridern, Schneeschuhwanderern und Tourenskigängern, lawinenbezogene Informationen übersichtlich zu strukturieren. Auch sie kommt zu Hause, vor Ort und am Einzelhang zum Einsatz. Im Jahr 2000 von Martin Engler und Jan Mersch entwickelt, ist die SnowCard heute ein fester Bestandteil der DAV-Entscheidungsstrategie „Lawinen-Mantra“.
Die SnowCard kann kostenpflichtig im Shop des DAV bestellt werden.
DAV BergwanderCard
Die sommerliche Wander-Entsprechung der SnowCard ist die ebenfalls vom DAV herausgegebene BergwanderCard. Auch sie ist nach einem Reduktions- und Filterprinzip aufgebaut, kommt aber eher als umfangreiche Broschüre denn als kleines Kärtchen daher. Auf jeden Fall ist sie ein weiteres praktisches Hilfsmittel zur Tourenplanung, mit dem Tourengeher ihr persönliches Können einschätzen und in Einklang mit passenden Touren bringen können. Dieser „menschenbezogene“ Ansatz ergab sich aus Erkenntnissen der Sicherheitsforschung des DAV. Dort stellte man im Jahr 2005 fest, dass nur etwa zwei Drittel der befragten Wanderer eine Tour gewählt hatten, die sie angemessen bewältigen konnten. Rund 40 Prozent der Befragten waren entweder konditionell und/oder im Hinblick auf Trittsicherheit überfordert.
Die BergwanderCard gibt es beim DAV kostenlos zum Download.
Weitere Instrumente zur Risikominderung
Hier einige weitere Beispiele für Risiko-Tools:
- Risikocheckliste Lawine
- Wie-Wo-Was-Frageschema zur LLB-Einschätzung
- Tourenplanungsformular-Sommer
- Tourenplanungsformular-Winter
Fazit: Möglichkeiten und Grenzen des Risikomanagements
Das Risiko-Glossar des Alpenvereins nimmt auch den Begriff Risikomanagement unter die Lupe und zeigt Grenzen dieses Werkzeugs auf. Vor allem könne der Begriff „Management“ ein „alles im Griff haben“ suggerieren und zu einem trügerischen Sicherheitsgefühl verleiten. Folgende Einschränkungen sollte man sich deshalb vergegenwärtigen:
- Es ist unwahrscheinlich, dass ich wirklich sämtliche Risikofaktoren erfasse (Begrenztheit und Fehlerhaftigkeit menschlicher Wahrnehmung)
- Eine objektive Quantifizierung von Gefahren und Chancen ist nicht möglich
- Noch schwieriger ist die Quantifizierung der risikomindernden Wirkung bestimmter Verhaltensmaßnahmen
- Menschen sind fehlbar; also ist es nicht sicher, dass alle Beteiligten die gewünschten Verhaltensmuster stabil reproduzieren
- Ein wichtiger Bestandteil von Management, nämlich die Evaluation der Wirksamkeit, ist im Bergsport nicht möglich, weil man Situationen nicht wiederholen kann. Man wird auf Tour beispielsweise kaum die Gruppe einmal mit, einmal ohne Fixseil die steinschlaggefährdete Schneerinne queren lassen.
Das soll allerdings laut DAV „nicht zu dem Fehlschluss verleiten, man könne sich alle „Risikomanagement-Maßnahmen sparen“. Man müsse sie nur mit weiteren, altbewährten Werkzeugen wie dem gesunden Menschenverstand, der „alpinen Erfahrung“ und diversen Faustformeln sowie Entscheidungshilfen verknüpfen. Dann sei man für die allermeisten Bergtouren gut gerüstet und Unfälle werden eine seltene Ausnahme bleiben. Eine gesunde Risikokultur lebe nach dem Leitsatz: „Letztlich haben wir zwar nichts völlig im Griff, aber wir bemühen uns soweit möglich darum“.