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Alles neu?! Lead, Bouldern und Speed bei den Olympischen Spielen 2021

Inhaltsverzeichnis

Das Sportklettern ist erstmalig eine olympische Disziplin. Die Covid-19 Pandemie hat vieles verschoben. Endlich haben die Qualifications stattgefunden. Wir haben für euch mit den Team-Ärzten Chris Lutter und Volker Schöffl gesprochen. Sie geben Einblick in die Situation in Tokyo, spannende sportmedizinische Erkenntnisse und einen Ausblick auf das heutige Finale. Das Gespräch wurde am 04.08.2021 geführt.

Klettern im ZDF
Foto: Screenshot Sportklettern im ZDF (03.08.2021)

Wie ist es jetzt nicht vor Ort bei den Athleten dabei zu sein?

Chris Lutter: Es ist so, dass nur eine kleine Delegation geflogen ist. Coaches, DAV-Vertreter und Physiotherapeuten sind vor Ort. Wir bekommen viel über verschiedene Kanäle mit. Für Olympia ist es allerdings auch nicht ungewöhnlich, dass bei kleineren Teams kein eigener Arzt dabei ist. Manchmal ist es für die Athleten psychisch gut, wenn sie wissen, der Doc ist vor Ort. Doch in der Regel sind viele Ärzte anderer Sportarten da, die auch helfen können.

Wie haben sich Alexander Megos und Jan Hojer vor Ort vorbereitet?

Volker Schöffl: Das deutsche Team war viel früher da als viele andere Teams. Wir sind mit zehn Tagen Vorlauf angekommen. So hatten die Athleten eine gute Anpassungszeit, konnten trainieren und sind nicht in den Wettkampf reingestolpert. Dazu muss man sagen, dass wir auch eine Affinität zu Japan haben und oft in zehn oder 14-tägigen Trainingslagern in Japan sind. Die Hallen vor Ort sind sehr gut. Das hat sicherlich auch bei der Entscheidung mit reingespielt so frühzeitig anzureisen.

Chris Lutter: Ich denke auch, dass unser Team gut vorbereitet war und sich so auch gut an die Temperaturen gewöhnen konnte.

Die Hitze in Japan ist eine andere als in Deutschland. Die feuchte Luft und hohe Temperaturen wurden vielfach thematisiert. Haben die Temperaturen auch Einfluss auf den Wettkampf gehabt?

Volker Schöffl: Es ist ja in dem Fall für alle Athleten gleich. Alle müssen schauen, wie sie unter den Bedingungen zurechtkommen. Durchaus wird ja bei solchen Temperaturen auch draußen am Fels geklettert. Ernsthafte Probleme gibt es beim Sportklettern nicht. Speziell bei Alex Megos muss man ein bisschen schauen, da er eine sensible Haut hat, die natürlich durch den Sport und die Temperaturen mehr strapaziert wird.

Chris Lutter: Es ist schon lustig, zu beobachten wie unterschiedlich mit dem Temperaturmanagement umgegangen wird. Manche Teams haben sich Eiswesten- oder Hüte einfallen lassen, andere Pools. Ich denke auch, dass Klettern jetzt keine Sportart ist, bei der diese Bedingungen eine sehr extreme oder belastende Situation für den Körper darstellen.

Eine Verletzung hat die Qualifikation überschattet. Bassa Mawem hat sich den Bizeps abgerissen. Eigentlich ist das jetzt nicht so eine typische Kletterverletzung, oder?

Chris Lutter: Normalerweise passiert so eine Verletzung bei unvorhergesehener maximaler Kraftentwicklung. Natürlich ist es hier so, dass Bassa Mawem vor allem ein Speed-Kletterer ist und er viel auf Maximal- und Schnellkraft trainiert. Bei ihm ist nach unserer Beurteilung der Videoaufnahme die Bizepssehne im Ellenbogenbereich abgerissen; das haben wir sonst eher selten im Klettersport.

Doch durch das enorme Trainingsvolumen, das die beiden Brüder an den Tag legen, kann so eine Verletzung durchaus passieren. Es ist etwa so wie bei den 100 m Sprintern, die auch bei der langjährigen maximalen Belastungssteigerung früher oder später Muskelteilrisse, Muskelbündelrisse oder Muskelfaserrisse bekommen können. Teilweise ist es eben aber auch der Sehnenapparat der die enormen Belastungen nicht aushält und es hier zu Verletzungen kommt.

Führt das Combined-Format nicht auch eher zu Verletzungen? Die Athletinnen und Athleten müssen ja doch in Disziplinen antreten, die sonst nicht ihre Schwerpunkte sind.

Chris Lutter: Das können wir nur mutmaßen, da wir ja noch keine Daten haben. Natürlich haben wir Sportmediziner auch im Vorfeld gesagt, dass die Athletinnen und Athleten ein viel höheres Trainingsvolumen haben werden und zudem mehr und anders trainieren müssen – und das nicht nur in ihrem Spezialgebiet. Es kann sein, dass das durchaus einen Einfluss auf das Verletzungsrisiko hat.

Parallel zu den Olympischen Spielen hat das sportmedizinische Symposium „Olympic academic programme on sport medicine & sport physiotherapy“ stattgefunden. Am Montag habt ihr virtuell zusammen mit Carrie Cooper und Tomoyuki Rokkaku über charakteristische Verletzungen im Klettersport gesprochen. Welche aktuellen Erkenntnisse habt ihr vorgestellt?

Chris Lutter: Wir haben unsere aktuellsten Ergebnisse präsentiert. In einer Studie haben wir nur Leistungssport-Athleten einbezogen und untersucht, welche typischen Verletzungen auftreten. Da ist auffällig, dass diese abweichen von den Verletzungen der Hobby- und Freizeitkletterer. Beispielweise gibt es fast keine Frakturen, wie die klassische Fraktur des Sprunggelenks oder Wirbelbrüche bei Anfängern. Auch treten bei Athleten häufiger überlastungsbedingte Sehnenscheidverletzungen auf, sogar häufiger als die klassische Ringbandverletzung. Auch bei den Schulterverletzungen sind es vielmehr schulternahe-Bizepssehnenverletzungen anstatt des klassischen Impeachment-Syndroms.

Darüber hinaus war es auch sehr spannend im Austausch mit dem japanischen Wettkampfarzt Tomoyuki Rokkaku zu kommen. Rokkaku hat über Wachstumsfugenverletzungen gesprochen und da andere OP-Verfahren und Behandlungsmethoden vorgestellt.

In anderen Ländern spielt die Physiotherapie in der Sportmedizin wissenschaftlich eine große Rolle. Carrie Cooper ist da eine der Führendsten in der kletterspezifischen Physiotherapie. Hat Deutschland Nachholbedarf?

Chris Lutter: Momentan sind es vor allem Physiotherapeuten aus dem amerikanischen und britischen Raum, die viel publizieren. Doch auch hier in Deutschland gibt es sicherlich den ein oder anderen, der sich auch wissenschaftlich mit dem Sportklettern auseinandersetzt.

Volker Schöffl: Das Konzept bei uns ist ein ganz anderes als beispielweise in Amerika, Kanada oder Skandinavien. Dort ist Physiotherapie kein Lehrberuf, sondern wird genauso wie Medizin an Universitäten gelehrt. Physiotherapeuten machen dort genauso einen Doktor und sind quasi konservative Orthopäden. Bei uns hat der Lehrberuf noch einen großen Anteil und wir beginnen gerade erst mit der Umstellung.

Eine Frage zum Schluss: Wer gewinnt die Finals? Was ist eure Einschätzung?

Volker Schöffl: Das ist schwer vorherzusagen. Ich denke, dass der Japaner Tomoa Narasaki sehr gute Chancen hat oder auch der Amerikaner. Es durchmischt sich ja immer wieder. Durchaus kann auch Adam Ondra nochmal ganz anders in Form sein. Ähnlich wie bei anderen Kletterwettkämpfen lässt sich das nicht so leicht sagen.

Chris Lutter: Ja, das sehe ich auch so. Doch kann ich mir vorstellen, dass einer der Routinees gewinnt, vielleicht Adam Ondra oder Jakob Schubert.

Volker Schöffl: Ja, Jakob war gestern echt nicht gut in Form. Der brennt morgen auf jeden Fall gewaltig.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Titelbild: Screenshot Sportklettern im ZDF (03.08.2021)

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Bergfreundin Anna

Mein schönstes Erlebnis war die Gletschertour im Mount Cook Nationalpark in Neuseeland. Sonst freue ich mich immer auf eine warme Hütte nach einer langen Tour!

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