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Auf leisen Sohlen – Testbericht Arc’teryx Norvan LD

Inhaltsverzeichnis

Understatement und dezentes Auftreten halten die Autoren dieses Textes grundsätzlich für sympathische Eigenschaften. Insofern könnten die Trailrunning-Produkte von Arc’teryx auch unseren Geschmack treffen. Blöd nur, dass die Markteinführung der Artikel völlig an uns vorüber ging. Wählt Arc’teryx hier eine neue Marketing-Strategie (Geheimtipp!?). Man weiß es nicht!

Werfen wir einfach mal einen Blick zurück: Schon 2016 kündigte Arc’teryx auf einschlägigen Messen an, sich zukünftig der Zielgruppe “Trailrunner“ stärker zuzuwenden und diese mit hochwertigen Produkten zu versorgen. Der Start der Kampagne wurde im Frühjahr 2017 mit der Einführung eines ersten Trailrunningschuhs eingeläutet. Nach und nach folgten Jacken und Rucksäcke, die teilweise unter gemeinsamen Namen firmierten: Norvan.

Abkürzung oder Long Distance?

Seitliche Ansicht des NORVAN LD Männermodells.
Ziemlich schlicht! – Das Männermodell des NORVAN LD.

Minimalismus ist ein Ideal, das bei Arc’teryx einen hohen Stellenwert genießt. Die firmeneigenen Designer verfolgen das Ziel, komplexe Produktanforderungen mit einfachen und cleveren Lösungen umzusetzen. Ganz klar, dass deshalb lange Produktnamen generell ausscheiden: Aus „North Vancouver Long Distance“ wird kurzerhand „Norvan LD“. Getauft wurde so der jüngste Trailrunningschuh der kanadischen Firma, die genau dort – in British Columbia – ihren Standort hat.

Richtet sich der Kollege „Norvan Vertical (VT)“ an die Fans von sehr technischen, felsigen Trails, soll der LD nun speziell bei langen Läufen Komfort, Halt und Schutz bieten.

Der erste Eindruck

Das erste was auffällt – und das klingt widersprüchlich – ist das schlichte Design des Schuhs. Der Schaft ist komplett nahtlos und einfarbig, nur der kleine seitliche Aufdruck mit dem Arc’teryx-Logo gibt Aufschluss darüber, wer diesen Schuh gefertigt hat. Die „kritischen“ Stellen am Übergang zwischen Mittelsohle und Schaft, sowie die Zehenkappe sind mit einer Schicht thermoplastischem Polyurethan (TPU) überzogen.

Ebenfalls etwas ungewöhnlich ist der vollständige Verzicht auf reflektierende Elemente. Womöglich sind diese auch dem Streben nach Minimalismus zum Opfer gefallen: Trailschuhe werden auf Trails getragen und sind dementsprechend stets dreckverkrustet. Zudem ist der Trailrunner im Unterschied zu Straßenläufern dem Straßenverkehr eher selten ausgesetzt, sodass Reflektionen an auffälligeren Kleidungsstücken genügen müssten.

Ein Fliegengewicht ist der Schuh übrigens nicht: Ein einzelner Schuh in Gr. 10 (UK) wiegt immerhin stolze 340 Gramm. Der Norvan LD erscheint zunächst eher robust und gemächlich, die Verarbeitung macht einen sehr hochwertigen Eindruck – was bei einem Preis von knapp 160 Euro jedoch auch erwartet werden kann.

Der Schaft

Eine Ansicht des NORVAN LD Obermaterials.
Bei dem Obermaterial hat sich ARC’TERYX für ein dicht gewobenes entschieden.

Interessant ist das Innenleben: Bei den meisten Laufschuhen ist der Bereich an der Achillessehne und Ferse fett gepolstert und mit faltigem Mesh-Material überzogen. Beim Norvan LD hingegen wurde ein kunstlederähnliches Material verwendet, das völlig glatt und ohne Nähte, den kompletten Fersenbereich umschließt. Hintergrund ist, dass dieses Material in Verbindung mit einer spartanischen Polsterung, sehr wenig Wasser aufnimmt und gerade bei nassen Bedingungen oder Bachquerungen Vorteile bietet. Der Schwammeffekt bleibt aus und die Gefahr von Blasenbildung wird minimiert. Außerdem bemerkten wir beim Testen: Die gereizte (Haglund-) Ferse von Markus passt genau in die dünn gepolsterte, gut geformte Fersenkappe und wird so keinem ständigen Druck ausgesetzt.

Damit feine Staubpartikel nicht in den Schuh eindringen und dort scheuern können, wählt Arc’teryx ein dichter gewobenes Obermaterial aus. Dieses geht zwar etwas auf Kosten der Atmungsaktivität, sorgte bei Temperaturen über 20°C aber trotzdem für einen akzeptablen Grad an Trockenheit.

Wer hierzu ein Upgrade will, kann noch mal 30 Euro drauf legen und bekommt den Norvan LD mit Gore-Tex-Membrane. Hierbei liegen die entscheidenden Vorteile erfahrungsgemäß jedoch weniger bei der Feuchtigkeit von innen, sondern mehr bei der Feuchtigkeit von außen.

Richten wir unser Augenmerk auf die Schnürung. Diese funktioniert so einfach wie tadellos: Die Schnürsenkel bestehen aus einem auffällig rauen und festen Material, sodass sie sich ein wenig ineinander, sowie in den Ösen verhaken. Will man den Schuh fest schnüren, muss man während des Schnürens nicht permanent an den Schnürsenkeln ziehen, sondern kann auch mal loslassen, ohne dass die Festigkeit in der Schnürung im nächsten Moment wieder verloren geht. Man hat fast den Eindruck, dass sich die Festigkeit der Schnürsenkel an den verschiedenen Stellen (zu einem gewissen Grad) variieren lässt, weil sich  die Schnürspannung nicht sofort gleichmässig über den ganzen Schuh verteilt (wie es bei normalen, d.h. elastischeren und rutschigeren Schnürsenkeln, der Fall ist). Das erleichtert auch die Anpassung des Schafts an den Fuß.

Nach dem Schnüren können die Schnürsenkel dann praktischerweise in die Zungenlasche gesteckt werden. Das verhindert zuverlässig, dass sich die Schnürsenkel unterwegs öffnen oder an z.B. Stöcken oder anderen Pflanzenteilen hängenbleiben. Die Zunge an sich scheint für unseren Geschmack etwas zu weit nach oben gezogen. Dies hat zwar den positiven Effekt, dass Geröll und Dreck ganz gut abgewehrt werden, allerdings drückt sie leicht auf den Spann, wenn der Fuß stärker angewinkelt wird.

Die Passform

Vorderansicht des NORVAN LD Männerschuhs.
Der Männerschuh passt wie angegossen.

Was die Passform betrifft gehen die Meinungen der beiden Testläufer auseinander. Bei der männlichen Schuhvariante gibt es bei der Größenwahl nichts Besonderes zu beachten. Markus passt die Größe, die er auch bei anderen Laufschuhen trägt. Der Schuh scheint „normal auszufallen“ – wie man so sagt. Die Weite wurde am unteren Ende von „Medium“ gewählt, dürfte jedoch den meisten Läufern keine Probleme bereiten. Nur ausgesprochen breite Füße oder Ultraläufer, die manchmal etwas weiter geschnittene Zehenboxen mögen, könnten damit nicht zurechtkommen.

Jessi empfand die weibliche Variante des Norvan LD als tendenziell groß ausfallend. Beim Kauf würde sie dazu raten, im Vergleich zur gewohnten Trailrunning-Schuhgröße den Norvan LD eine halbe US-Größe kleiner zu wählen. Dann haben sie die richtige Größe um sich auch nach längerer Belastung der Füße noch komfortabel zu tragen. Zudem kann sie die Schuhe auch bei breiteren Füßen empfehlen.

Der Sohlenaufbau

Der aufmerksame Leser wird es schon fast erahnen. Auch die Sohlenkonstruktion sieht unspektakulär aus. Nur bei genauerem Hinsehen fallen unterschiedliche Zonen in der Mittelsohle auf. Da bei einer „Long Distance“ die Füße schon mal ermüden können, verbaut Arc’teryx eine Pronationsstütze im Mittelfußbereich. Zieht man den Schuh das erste Mal an, spürt man diese Verstärkung auch leicht, beim Laufen erfüllt sie aber sehr unauffällig ihren Zweck.

Machen wir weiter im Testprozedere. Ein fachmännischer Druck mit dem Daumen auf den Dämpfungskeil zeigt sofort, der Schuh ist moderat gedämpft, weißt einen mittleren Härtegrad auf und dürfte auch Läufern genügen, die über 75 kg Körpergewicht liegen. Wer die Sohle kräftig durchbiegen will, braucht dann schon die ganze Hand. Wirklich flexibel ist sie nicht und Torsion fast unmöglich. Geschuldet ist dies vermutlich u.a. der eingearbeiteten TPU-Platte, die vor fiesen Steinen schützen soll. Dieser Annahme widersprechen allerdings einige Trailschuhe, die ebenfalls eine solche Platte besitzen und uns ein flexibleres Laufgefühl bieten.

Gehen wir also davon aus, der etwas starre Sohlenaufbau ist gewollt und wir laufen mit dem Norvan LD zu Testzwecken einfach mal blindlings im groben Schotter. Hier zeigt sich dann auch die Stärke der Sohlenkonstruktion: Komfort, Halt und Schutz wird in solch unangenehmen Gelände tatsächlich geboten.

Die Laufsohle

Große Erwartungen weckt eine Laufsohle, die sich „Megagrip“ nennt und aus dem Hause Vibram stammt. Arc’teryx verbaut eine relativ simple Variante dieser Sohle mit, die  sicherlich nicht für den Einsatz in extremen Matsch designt wurde, sich aber insgesamt sehr universell zeigt. Dies brachte das wechselhafte Wetter im Frühjahr zu Tage, das fast alle Zustandsformen von Dreck und Wasser im Programm hatte.

Test des Schuhs in den verschiedenen Wetter- und Bodenbedingungen.
Wie der Schuh wohl in Kombination mit Matsch ist!?

Auf festgetretenem Schnee bot die Sohle einen auffallend guten, im Matsch – wie schon oben erwähnt – einen zumindest ausreichenden Grip. Sehr wohl fühlt sich die Sohle auf einem felsigen oder wurzeligen, trockenen Untergrund. Hier haftet die Sohle hervorragend am Boden und zum ersten Mal kommt tatsächlich ein Gefühl von „Megagrip“ auf. Bei solchen Bedingungen resultiert insbesondere im Downhill das gewonnene Vertrauen in die Sohlen in einer deutlich erhöhten Geschwindigkeit. Die Kombination Nass/ Fels blieb uns (leider) bei den Tests erspart. Deswegen ziehen wir für diese Beurteilung die Erfahrungen mit einem anderen Trailschuh heran, an welchem die gleiche Vibram-Sohle klebt und der aktuell von Markus gelaufen wird. Mit diesen kommt er bei glitschigen Wegabschnitten im Fels sehr gut zurecht, weshalb sie momentan bei derartigen Bedingungen seine erste Wahl sind.

Noch eine letzte Bemerkung zur Haltbarkeit: Bei den Tests sind wir auch einige Kilometer auf Asphalt unterwegs gewesen. Der Abrieb hält sich auch hier in Grenzen, was auf eine hohe Laufleistung schließen lässt. Bestätigt wird dieser erste Eindruck auch durch den „sohlenverwandten“ Schuh, den Markus jetzt schon seit 9 Monaten im Einsatz hat.

Mostly harmless

Läufer macht mit dem NORVAN LD einen Sprung.
Machen wir mit dem ARC’TERYX NORVAN LD nun also wortwörtlich Freudensprünge?

…lautete der wortkarge Eintrag im Reiseführer „Per Anhalter durch die Galaxis“ zur Erde und stempelte unseren Planeten als eher langweilig, ungefährlich und harmlos ab. Wir haben uns bei Testläufen mit dem Norvan LD wacker gegen ein ähnliches Urteil gestemmt. Zugegeben, oft haben wir uns auch abseits vom eigentlichen Einsatzbereich des Laufschuhs bewegt – aber manchmal werden genau hier Stärken und Schwächen aufgedeckt.

Läuft man auf normalen Schotter- und Waldwegen oder gar auf Asphalt, weckt der Norvan wenig Begeisterung: Er rollt mit seiner festen Sohlenkonstruktion zwar gut ab, lässt aber wenig Dynamik verspüren. Hört man jedoch auf die Werbetexter und bewegt sich in alpinem Gelände, entsteht ein anderes Bild. Die stabile Konstruktion vermittelt Vertrauen, gibt Halt und bietet damit eine gute Grundlage für lange Läufe. Daraus ergibt sich für Arc’teryx folgende Möglichkeit: Dem Norvan VT und LD kann durchaus ein drittes Paar Laufschuhe zur Seite gestellt werden, welches das Sortiment perfekt vervollständigen würde. Diese haben dann vielleicht eine flexiblere Sohle, sind ein paar Gramm leichter und eignen sich perfekt für Dauerläufe im naheliegenden Naturpark Schönbuch. Es wird nur eine Frage der Zeit sein bis Arc’teryx den Schöbu DL präsentiert!

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Bergfreund Gastautor

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