Von wegen Wolle stinkt nicht: im Zimmerlager braut sich eine explosive Mischung zusammen. Süßlicher Schweißunterwäschenduft trifft gerade auf herbes Käsesocken-Fondue, als die herzzerreißende Bitte kommt, man möge doch endlich das Fenster schließen. “Ich erfriere…”.
Ein paar Minuten später scheint der erste im Lager zu ersticken – doch es ist nur der Auftakt zum nächtlichen Schnarchbenefizkonzert. Rund um die Uhr schleichen Piesler mit grellen Lampen durchs Dunkel, bevor kurz nach Mitternacht das Tütenrascheln der ersten Aufbrechenden beginnt.
Die Anspannung vor dem großen Abenteuer ist groß, die Nerven liegen blank. Hektisches Schlingen am Frühstückstisch, den Blick immer auf die Tür gerichtet. Wer wird der Erste sein dort draußen, am Berg, auf dem Gipfel…
Und wie war euer letzter Hüttenbesuch so? Hast du auch von einem einsamen Biwak geträumt? Dabei könnte es so schön sein am Berg, die pure Hüttenromantik. Wo der gesunde Menschenverstand aufgrund von Sauerstoffmangel versagt, helfen ein paar Regeln nach. Im folgenden die wichtigsten drei, um auf der Hütte zu überleben.
Hüttenknigge Regel 1: Don’t mess with the big boss
Das allerwichtigste gleich vorab: auf einer Berghütte bist du Gast und nicht der König.
Wie du es dir am schnellsten mit Wirt und Hüttenteam verspielen kannst? Zum Beispiel ohne Reservierung möglichst zahlreich und spät auf der Hütte ankommen, laut über mangelnden Komfort und das Essen klagen, oder gleich eigenes Essen und alkoholische Getränke mitbringen und nach dem Mülleimer fragen: “Jetzt hab dich nicht so, das nimmt doch die Müllabfuhr mit…”.
Dann könnte es bald heißen: „Au weh, ich glaube das Wetter wird schlecht- die Rucksäcke fliegen schon wieder so tief.“
Eine Hütte zu bewirten ist eine Kraft- und Ressourcen- erschöpfende Angelegenheit. Dabei die Nerven zu behalten, ist oft ein Drahtseilakt. “Eine voll besetzte Hütte mitten in der Winterhauptsaison und plötzlich friert die Wasserleitung zu,” erzählt Siggi Gufler von der Langtalereckhütte. “Wir mussten die Sanitäranlagen schließen, die Gäste stapften mit Klopapier bewaffnet durch den Schnee. Aus dem restlichen Mineralwasser habe ich Tee und Kaffee gemacht, das war alles, was es gab, und trotzdem hat sich niemand beschwert.”
Ein guter Hüttenwirt sollte vor Allem ausgeglichen sein und Spaß daran haben, Probleme zu lösen. Anderswo geht es nicht ganz so vorbildlich zur Sache, da genügt es schon, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, um aus der Hütte zu fliegen. Und trotzdem, oder vielleicht deshalb, ist die wichtigste Regel: “beiße nie die Hand, die dich füttert!” Zumindest solange sie dich füttert.
Hüttenknigge Regel 2: Tausche alt (nicht) gegen neu
“Ab hier keine Bergschuhe”, steht dick und fett an der Tür zu den Schlafräumen, und trotzdem latscht schon wieder jemand mit den schweren Stiefeln durch die Gänge. Es muss der Sauerstoffmangel sein, denn eigentlich will niemand mit Schuhen, ihren Düften und ihrem Dreck ins Bett. Ebenso einleuchtend wäre, dass feuchte Bergschuhe im beheizten Trockenraum viel schneller trocknen.
Die meisten Exemplare haben eine ganz eigene Duftnote, so dass man sich um mögliche “Verwechslungen” nicht sorgen muss. Anders ist es mit der Ausrüstung: Pickel, Steigeisen oder Seil könnten begehrte Tauschartikel sein. Ich brauche nicht zu erwähnen, dass das ein absolutes NO-GO ist, das trotzdem hin und wieder passiert…
Hüttenknigge Regel 3: Regeln sind da, um gebrochen zu werden
Manche Unannehmlichkeit (wie beispielsweise einen nervigen Nachbarn), können wir nicht ändern. Anderes aber schon. Ohne Hüttenschlafsack unter einer kratzigen Decke liegend braucht es zum Beispiel gar keinen Schnarcher im Zimmer, um eine schlaflose Nacht zu verbringen. So eine Nacht kann ganz schön lang sein, wenn man darüber nachdenkt, wer und was da schon alles unter dieser Decke geschlafen hat, und ob das Beißen wirklich nur von der Schurwolle kommt. Wohl dem, der in seinem Hüttenschlafsack gar nicht auf solche Ideen kommt!
Wer nachts aufs Klo muss, wird ohne Stirnlampe jämmerlich eingehen, denn selbst im 21. Jahrhundert wird auf den Hütten nachts das Licht abgeschaltet, und der Weg zur Toilette ist kompliziert und weit. Als wichtigstes Zubehör kommen zuletzt noch gute Ohrstöpsel ins Hüttenüberlebenspaket. Wahlweise mit Schlafmaske und Nasenklammer. Wir sind schließlich in Europa, und jeder kann entscheiden, wen er hören, was er sehen und riechen will. Na dann, gute Nacht!
Besser geht’s nicht
Ich sitze auf einem Halbseil, die Füße stecken tief im Rucksack. Jacke und Mütze sind der einzige Schutz vor der hereinbrechenden Oktoberkälte. Hoch über uns leuchten die Sterne, der Mond geht bald auf. So wildromantisch wie ich mir ein Biwak immer vorgestellt habe, ist es eigentlich gar nicht. Die Zähne klappern, und der Körper zittert unkontrolliert, bis die Krämpfe einsetzen.
Noch nie habe ich eine Nacht als so lang empfunden, eine nicht enden wollende Aneinanderreihung von ewigen Minuten. Wenn es doch nur schon vorbei wäre… Unerträgliche Erfahrungen von Hütten sind plötzlich lächerlich, nie wieder werde ich mich über irgendetwas beschweren, denn alles – wirklich alles – ist besser als das hier.
Nicht, dass wir uns freiwillig dafür entschieden hätten… Mit etwas Kompromissbereitschaft und Diplomatie lässt sich jede explosive Stimmung auf der Hütte herum reißen. Es gibt Schlimmeres als stinkende Socken.
2 Kommentare zum Artikel
Super hier schreibt jemand aus Erfahrung und ohne beschönigende Zutat ! Mein Sohn hat dieses Jahr eine mehrtägige Bergtour gemacht. Übernachtungen in Pensionen im Tal und Brotzeit und Mittagessen in Berghütten. Übrigens Biwakieren führte am Schrecksee ( bei Bad Hindelang, Hinterstein, Allgäu auf 1879m) zu einer Razzia. Solche Überraschungen braucht auch keiner! Aber nochmals toller ARTIKEL. Gruß Ralf