
Menschen, die Barfuß auf einem Gipfel rumturnen? Das erinnert doch eher an den Hobbit, mit seinen riesigen, behaarten Füßen auf dem Weg nach Mordor. Naja, zumindest sorgt der Anblick von barfuß laufenden Menschen bei einem Großteil der Spaziergänger und Wanderer erst einmal für Verwirrung, bloßes Entsetzen oder Schmerz verzerrte Gesichter. Allerdings ist Barfußlaufen eine der natürlichsten Bewegungsform, die der Körper kennt. Das Gefühl, barfuß zu gehen, verleiht ein gewisses Stück Freiheit, schafft Verbundenheit zur Natur und ist sehr gesund für die Füße.
Auch ich nutze im Alltag nahezu jede Gelegenheit, meinen Füßen so viel Freiheit wie möglich zu geben. Als begeisterter Barfußläufer und Botschafter lernt man nie aus, weshalb ich mich gerne mit anderen Barfuß- Enthusiasten austausche und in Kontakt trete. So kam es auch zu dem Projekt „Barfuß auf die Zugspitze“. Bei einem gemeinsamen Barfuß-Workshop in Südtirol fragte mich Christian Schwarze aus Düsseldorf, ob ich nicht Lust hätte, mit ihm Barfuß auf die Zugspitze zu wandern. Klang verrückt im ersten Moment, aber meine Antwort war spontan – ja.
Nur keine kalten Füße bekommen
Ein Training und zugleich ein Test für meine Füße war die Barfuß- Wanderung auf den Säuling im Juli. Diese sollte zeigen, ob meine Füße überhaupt schon bereit waren für solch einen Gipfelsturm. Allerdings erwies sich der Aufstieg als problemlos und gut machbar. So konnten die weiteren Vorbereitungen für die Zugspitze beginnen. Als sehr hilfreich erwiesen sich Wanderstöcke, denn dadurch konnte der Druck auf die Fußsohlen etwas verringert werden.
Als nächstes Stand die Beschaffung des Materials an. Vom neuen Rucksack über Wanderstöcke und ein Klettersteigset bis hin zu Steigeisen für bloße Füße musste an alles gedacht werden. Immer wieder diese Unsicherheit: was nehme ich mit, habe ich alles im Kopf, welche Kleider, wie wird das Wetter? Gerade am Morgen vor dem Aufstieg macht sich die Anspannung deutlich bemerkbar. Noch einmal teste ich die Steigeisen in Verbindung mit meinen Barfuß-Neoprensocken und beginne zu packen. Helme, Rucksäcke, Schlaf- und Hüttenschlafsack, Steigeisen, Klettersteigsets, Wanderstöcke, Handschuhe, als Sicherheit Barfuß-Wandersandalen und Barfuß-Trekkingschuhe, Regenkleidung, Geld, und, klar, die Kamera, denn mit dieser wird mein Sohn Tim für eine Filmdokumentation filmen. So langsam ist Land in Sicht, und ich beginne etwas ruhiger zu werden.
Aufstieg im Dunkeln

Endlich ist es soweit. Am Freitagnachmittag mache ich mich mit Tim auf den Weg in Richtung Allgäu. Am Wanderparkplatz in Hammersbach angekommen, treffen wir den Rest der Gruppe, und um 20.15 Uhr endlich zum Aufstieg starten. Da klar ist, dass es Nacht wird, ziehe ich für diesen Aufstieg meine Barfuß-Sandalen an, denn mit denen kann ich etwas zügiger gehen und habe dennoch das Barfußgefühl. Gleich die ersten Meter geht es rasch bergauf, kaum 30 Minuten gewandert, und schon bin ich schweißgebadet. Der Rucksack und mein Körpergewicht bringen mich zum Schwitzen. Wir kommen flott voran und sind gegen 21.15 Uhr am Eingang der Höllentalklamm. Bis jetzt hielt das Wetter, doch hier fängt es an zu regnen. Also Regenjacke an, den Rucksack, den Schlafsack und vor allem die Kamera mit einem Kunsttoffsack einpacken. In der Klamm machen wir nochmals Halt für eine weitere Filmaufnahme, dann geht es zügig weiter zur Höllentalangerhütte bei der wir gegen 22.15 Uhr ankommen.
Nun geht es direkt zum Checkin, dort bekommen wir noch die Möglichkeit, eine kleine Stärkung zu uns zu nehmen. Als Vegetarier lehnen wir die Gulaschsuppe ab, dafür bekommen wir jeder eine Käseplatte. Solange diese gerichtet wird, bringen wir die feuchten Sachen in den Trockenraum. Uff, leicht müffelig hier. Ich hänge meine Sandalen zu den Wanderstiefeln und auf meine Haken passen auch noch Tim´s Barfuß-Stiefel. Sehr platzsparend, und lustig aussehen tun sie auch zwischen den ganzen „normalen“ Wanderstiefeln. Mit vollen Bäuchen und dem schönen Gefühl, den ersten Teil sehr gut gemeistert zu haben, geht’s in die Falle im 8- Bettzimmer. Es war bis hierher eine schöne und interessante Wanderung durch die teilweise beleuchtete Klamm.
Im Flow-Zustand Schritt für Schritt nach oben
Nach einer eher mäßigen Nacht mit wenig Schlaf heißt es dann um 5.15 Uhr aufstehen. Als ich in den Flur komme, merke ich, dass wir nicht alleine auf der Hütte sind, und so auch sicher nicht alleine auf dem Weg zur Zugspitze. Nach Katzenwäsche, Toilette und Hüttenfrühstück geht es los. Gegen 6.30 Uhr wandern wir zu sechst in den Sonnenaufgang. Christian und ich barfuß, Tim mit den Barfuß-Trekkingstiefeln, Loan, Bendicta und Andreas werden in teils in Wanderstiefeln und zwischendurch barfuß unterwegs sein.
Ich komme heute sehr schwer in meinen Rhythmus, irgendwie spüre ich den Druck durch die Steine sehr stark an meinen Füßen und zweifle, ob ich das heute den ganzen Tag schaffe. Doch nach einiger Zeit komme ich in meinen Flow-Zustand, Schritt für Schritt ganz langsam und achtsam geht es voran. Das Wetter ist angenehm kühl, dennoch schwitze ich schon wieder wie verrückt, so dass Christian meint: „Habe ich den Regen verpasst?“. Doch lieber schwitzend und gehänselt als frierend unterwegs zu sein.

Das erste Stück und die “Leiter”
Das erste Stück bis zur „Leiter“ ist ganz angenehm. Ein steiniger Weg mit viel Grün, und immer mal wieder kann man seine Füße im Gras entspannen. Die Leiter ist eine Passage, die mit Eisenstufen am Fels fast senkrecht nach oben geht. Hier ist man durch ein Klettersteigset am Stahlseil gesichert. Zwar drücken die Eisenstufen ein wenig in die Füße, doch es geht ganz gut. Nun geht es weiter am Fels bis zum „Brett“. Eine Passage, wo Stahlstangen aus der fast senkrechten Wand ragen, welche man ebenfalls über einen Klettersteig passieren kann. Auch diese Stelle geht ganz prima. Aber das schönste Stück der ganzen Wanderung, der „grüne Buckel“ wartet noch auf uns. Diese Passage ist sehr angenehm, viele Blumen, viel Grün, viele Schmetterlinge – einer landet sogar bei Loan auf dem Helm. Und dann das Beste: viel Wasser. Der Fluss, der ins Tal rauscht, eignet sich perfekt für eine Abkühlung der mittlerweile gut durchbluteten und warm gelaufenen Füße. Sehr angenehm, wenn auch die Wasserzeit nicht zu lange sein sollte, denn wenn die Füße aufweichen, wird die Haut empfindlicher und die Verletzungsgefahr steigt. Das Plätzchen hier oben eignet sich hervorragend für eine erste Vesperpause, und wir genießen es bei Speis und Trank, die erste Herausforderung gemeistert zu haben. Zugleich bereitet uns Christian auf die kommende Passage bis zum Gletscher, dem „Höllentalferner“, vor. Diese ist ein Geröllfeld mit vielen spitzen Steinen, welche uns Barfußwanderer stark fordern wird.

Zum Gletscher mit Konzentrationsschwäche
Nach Bildaufnahmen und Drohnenflug machen wir uns gestärkt auf den Weg zum Gletscher. Schnell merke ich den Anspruch dieser Passage, und unterstütze jeden Schritt stark mit meinen Wanderstöcken, um den Druck auf die Fußsohlen zu verringern. Ich lasse die gesamte Gruppe vor mir und gehe in langsamem Rhythmus hinterher. Trotzdem fordert mich die Strecke enorm, sowohl körperlich, als auch mental. Immer wieder muss ich mich auf die Situation einstellen und mich selbst motivieren. In einem schwachen Moment schaffe ich es, den Wanderstock ungeschickt zwischen die Zehen des linken Fußes zu rammen. Autsch…und sofort bin ich wieder, angesichts der leichten, aber trotzdem spürbaren Verletzung aufmerksam und hellwach.
Gletscher mit Steigeisen und Barfüßen
Es ist jetzt 12.30, und der Gletscher naht. Doch die Kräfte sind spürbar am Schwinden, weshalb wir nochmals eine kurze Rast einlegen. Noch ein paar Worte von Christian zum Gehen mit den Steigeisen, und es kann losgehen.

Wir ziehen alle unsere Steigeisen an. Christian seine mit Polsterung modifizierten Eisen, direkt an die bloßen Füße. Ich entscheide mich für meine Neoprensocken, an die ich die Steigeisen mit den vorhandenen Riemen und zusätzlich einem Fahrradspanngurt zurre. Tim bastelt seine Steigeisen, so gut es ihm möglich ist, an die Barfuß-Stiefel. Das zweite Mal feiere ich heute Premiere. Zuerst die Klettersteigsache, und jetzt auch noch ein Gletscher mit Steigeisen.
Der ursprüngliche Plan, alle in einer Reihe zu laufen, platzt. Christian geht sehr zügig, damit die Füße nicht zu kalt werden. Tim ist mit filmen zusätzlich beschäftigt, und die anderen -inklusive mir selbst- haben mit der Situation auf dem Gletscher zu tun. Nacheinander kommen wir heil oben an und freuen uns, dass es keine Randkluft gibt. Denn ansonsten wäre der Übergang vom Eis an den Fels eine weitere Herausforderung. Wir können jedoch direkt mit dem Klettersteig loslegen. Davor heißt es dann wieder Steigeisen aus und baldigst an den Fels, denn selbst mit den Neoprensocken wird es etwas kühl an den Füßen.

Steil am Seil
Nun geht es steil bergauf am Seil, dann wieder seitlich, und immer wieder hoch. Immer ein Wechsel zwischen Metallstangen und Metalltritten, aber stetig steil nach oben. Anfangs lasse ich meine Socken an, bis meine Füße recht schnell viel zu warm werden und ich bin wieder ganz barfuß. Eigentlich viel angenehmer, denn ich spüre alles, und kann meine Füße achtsam setzen. Dennoch spüre ich die Belastung der Fußsohlen, und es schmerzt zwischendurch auch mal der eine oder andere Stein, der in die Sohle drückt. Trotzdem fühle ich mich wohl, denn dieses Zusammenspiel der Nervenenden im Fuß und dem Gehirn, der sogenannten „Propriezeption“ ermöglicht es mir, mich sehr achtsam zu bewegen. Das Gehirn reagiert sehr schnell auf die Reize vom Fuß, und veranlasst die richtige Reaktion: vorsichtiges Auftreten, das überlegte Setzen der Füße und harmonische Bewegungen sind die Folge.
Die Kräfte lassen nach

Doch bei jedem Meter spüre ich nun auch die nachlassenden Kräfte, der letzte Klettersteig hat es schon in sich, er ist sehr lange und steil. Als wir gegen 16:00 Uhr noch immer im Klettersteig sind, und kein Ende in Sicht ist, werde ich etwas nervös. Immer wieder fordert mich Tim auf, nicht so zu meckern und hin und wieder zu lächeln, doch dazu ist mir mittlerweile so gar nicht mehr zumute. Wir hatten angedacht, zwischen 14/ 15 Uhr oben zu sein, aber der Zeitpunkt war natürlich längst überschritten. Zudem galt ab 16.00 Uhr ein erhöhtes Gewitterrisiko. Alles keine Entspannungsanzeiger, aber ich mache weiter. Es ist seit einiger Zeit auch leicht neblig, das heißt leider auch, keine Aussicht nach unten. Egal, ich schaffe es, mich immer weiter zu motivieren, und mit der einen oder anderen Verschnaufpause die Kräfte zu mobilisieren. Hier ziehe ich auch nochmals die Neoprensocken an, da sie den Druck auf die Fußsohlen nochmals reduzieren.
Das Gipfelkreuz
Nun kommt etwas Wind auf, und der lässt mich hoffen, dass wir bald oben ankommen. Und tatsächlich: wir sehen das erste Mal beim Hochschauen das Gipfelkreuz und den darüber stehenden Baukranausleger. Es ist zwar noch ein gutes Stück, doch nun ist das Ziel in Sicht. Es ist kurz nach 17 Uhr, als wir den Gipfel erblicken. Jetzt heißt es noch etwas Geduld, denn es gibt oben auch einige Touristen. Diese lasse ich passieren, und dann geht es die letzten Meter bis zum Gipfel, ich bin der Letzte aus unserer Gruppe, der ankommt, und wir klatschen uns ab, es ist geschafft!
Voller Freude und Dankbarkeit

Nach einem Gruppenbild gehe ich alleine hinter das Gipfelkreuz, setze mich hin und mir wird bewusst, was ich heute geschafft habe. Unverletzt und in einem körperlich ordentlichen Zustand sitze ich nun da, und eine Träne der Freude kullert mir aus dem Auge, dankbar genieße ich diesen Moment.
Auf dem Weg zurück treffe ich einige andere Wanderer wieder, die wir unterwegs gesehen hatten, und die uns zu unserer tollen Leistung gratulierten und sich mit uns freuten. Hier darf ich auch dankbar anmerken, dass wir den ganzen Tag Gespräche mit anderen Wanderern hatten, die gut fanden, was wir machen. Das freute mich, denn als barfuß-Aktivist ist man oft dem einem oder anderen blöden Kommentar ausgesetzt, heute aber nicht. Vielen Dank. Zudem wurde mir auf diesen letzten Metern zum Münchner Haus bewusst, dass ich heute von den etwas turbulenten letzten Wochen abschalten konnte, und nun sehr glücklich über diese erfolgreiche Aktion war.
Zurück zum Auto
Voller Freude über das Geleistete -und auch Vorfreude auf zu Hause- gehen wir die letzten Meter zur Gondel. Die fährt mit uns um 18.30 Uhr für heute letztmalig talwärts. Unseren ersten Hunger stillen wir genussvoll mit veganer Rohkostschokolade, die ich vorgestern zum Geburtstag bekommen habe. Wir genießen die Abfahrt, und schauen immer wieder mal hoch zum Gipfel, erfreuen uns am Anblick des Eibsees und allem, was uns sonst noch so begegnet. Gegen 20.15 Uhr kommen wir unten an und haben noch ca. 500 m Fußweg zum Auto. Zwar geht das nicht mehr ganz so flott, doch in genüsslichem Tempo meistern wir auch das letzte Wanderstück.
Zum Abschluss des Tages füllen wir beim Abendessen unsere Energiespeicher mit leckerer Pizza, Nudeln und Salat wieder auf und fühlen uns gestärkt für die Heimfahrt, freuen uns auf das eigene Bett und darauf, aufstehen zu können, wann wir wollen.
Glückliche Füße am Tag danach
Die Befürchtung, am nächsten Tag mit Schmerzen am Körper aufzuwachen, sollte sich nicht erfüllen. Ich spürte fast nichts. Ja, die Füße kribbeln noch ein wenig, sind jedoch sofort wieder voll belastbar. An der Schulter spüre ich ein wenig die Druckstellen des Rucksackriemens, und die Beine sind etwas müde. Aber im Grunde ein prima Zustand, nachdem, was wir von Freitag bis Samstag geleistet haben. Abends gehe ich mit den Kletterfreunden schon wieder locker drei Routen klettern, werde schon als Mr. Barfuß auf der Zugspitze begrüßt, und habe angeregte und nette Gespräche.
Mein Fazit: wer so trainierte Barfüße hat wie ich, schafft so ein Projekt ohne Probleme. Wer nicht ganz so gut trainiert ist, oder nicht so extrem sein möchte, dem rate ich, eine Teilstrecke barfuß zu gehen; oder, wie Tim, Barfuß-Stiefel oder Barfuß-Schuhe zu benutzen.
Vielen Dank fürs Lesen und Miterleben, wer mehr wissen möchte darf sich gerne hier informieren.
Schöner Beitrag! Mich würde interessieren, welche Steigeisen sich hier barfuß als geeignet erwiesen haben. Ich suche welche, die ich unter Barfußschuhen befestigen kann, die dem Terrain am Gletscher aber dennoch gerecht werden.
Ein toller Bericht
Ich selbst laufe und gehe seit 5 Jahren barfuß.
Hi Rebecca,
ich glaube Bernd hatte hier ein Modell von Grivel mit Riemenbindungen dabei. Frag Bernd gerne mal direkt – vielleicht auch nach sonstigen Tipps. Du erreichst ihn über die Webseite https://barfuss-initiative-reutlingen.com/.
LG, Jörn