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Zurück in die Berge – auf das Schlimmste vorbereitet

Inhaltsverzeichnis

Zum Anfang des Jahres 2021 ein paar Worte zu Ereignissen, die nun schon länger zurückliegen, für mich aber immer noch täglich präsent sind.

Es sollte klar sein, dass die Art und Weise, wie Bergsport üblicherweise dargestellt wird, etwas unausgewogen ist.  Es dominieren die Erfolgsgeschichten, denn die erzählt man einfach lieber. Und wenn etwas schief geht, dann lässt sich meist doch noch irgendeine Form von Happy End finden (was natürlich gut ist!).

Zur Realität gehört aber auch, dass nicht alles in dieses Schema passt. Ich denke, wir sollten uns dazu bekennen, diesen Teil nicht zu unterschlagen.

Die Stärke von Schnee

Ruth Gorge im Denali Nationalpark, April 2019. Über unser Satelliten-Kommunikationssystem haben wir die traurige Nachricht erhalten, dass David Lama, Hansjörg Auer und Jess Roskelley nach einem Lawinenabgang in den kanadischen Rocky Mountains vermisst werden. Die Gedanken drehen sich mehr und mehr um das Thema Lawinen. Mein Interesse, hier in einer Lawine zu verunglücken, ist nicht allzu groß, aber – eh klar – die Berge interessiert das keine Spur.

Hans und Martin während einer Erkundungstour unterhalb des Mount Dan Beard. Foto F. Miller

Eine Woche später, am Westgrat des Mount Dan Beard. Risse in der Schneedecke, ich begreife sofort was geschieht. Es zieht mir die Füße weg, es dreht mich. Zwischen den Schneeblöcken schieße ich auf die 500 m hohe Wand zu, die unter mir liegt. Das Unterbewusstsein gibt mir zu verstehen, dass ich sterben werde. Über mir sehe ich Martin im freien Flug, von mir mitgerissen – bis ich realisiere, dass das aufgrund meiner Seilführung nicht passiert sein kann.

Die ersten Felsen, scharfe Kanten. Ein einzelnes 8-mm-Seil hat einer Granitkante wenig entgegenzusetzen. In meinem Kopf entstehen Bilder des kommenden Seilrisses. Plötzlich, mit einem harten Schlag, der glücklicherweise nur den Mantel des Seils zerfetzt, wird mein Flug gestoppt.

Rückweg zum vorgeschobenen Lager. Foto M. Birkmann

Ich checke, ob ich mich bewegen kann, greife meine Eisgeräte, klettere zitternd zurück zum Grat, um die Zeit zu nützen, bevor die Schmerzen kommen.

Zurück zu meinen Freunden Hans und Martin, Daunenjacke an, weiterer Abstieg, abseilen, abklettern, Schmerzmittel. Auflösen des vorgeschobenen Lagers, Skiabfahrt, völlig überladen. Tage später erst der Mut, daheim Bescheid zu geben, dass etwas gründlich schief ging.

Die Kehrseite der Medaille

Schon länger hatte ich das Gefühl, dass ein großer Sturz auf mich zukommen würde. Irgendwann, irgendwo beim Klettern in den winterlichen Bergen. Nun war es geschehen, doch die wahre Fallhöhe sollte sich erst später zeigen.

Mellodrama, Monte Qualido, mit dem DAV Expedkader. Foto F. Miller

Klettern und Bergsteigen wurde zu meinem Leben – zu einem Leben, das mich immer wieder mit gefährlichen wie auch mit potentiell traumatischen Ereignissen konfrontiert. Über die Jahre hat sich viel angesammelt: Überlastungsschäden und körperliche Verletzungen auf der einen Seite. Auf der anderen Seite: Verletzungen der Seele, die noch schwerer wiegen, da sie weniger offensichtlich sind, und weniger heldenhaft.

Ich habe immer wieder angesetzt zu schreiben und immer wieder aufgegeben. Warum? Weil diese Geschichte nicht zu unserer Branche und nicht in unsere Zeit passt, in der die Selbstdarstellung und Inszenierung alles dominiert. Und weil ich nicht klingen will wie ein Fußballmillionär, der nach Karriereende die Härte seines früheren Berufs moniert.

Also hart bleiben, weitermachen, weiterkämpfen. Hoffen, dass man verstanden wird.

Ein Auf und Ab

Himmel und Hölle, Zugspitze Nordwand. Zurück in verschneiten Wänden. Foto M. Schuster

Frühjahr 2020. Ein Jahr ist vergangen seit meinem Unfall in Alaska, der mich unter anderem das hintere Kreuzband im rechten Knie gekostet hat (gerade, als das linke Knie nach einer dreijährigen Verletzungsmisere wieder weitestgehend schmerzfrei war). Doch irgendwie ging es weiter, wie immer bisher. Zurück in die Berge. Zurück an gefrorene Wasserfälle, zurück in verschneite Wände. Hart sein. Nicht aufgeben. Weiter trainieren. Ein kleiner Crash beim Training, angebrochene Rippen. Zähne zusammenbeißen, weiter geht’s.

Juni 2020. Ein Stück Leichtigkeit ist zurück und die Freude über wiedergewonnene Möglichkeiten. Es geht noch nicht alles, aber ich bin bereit für den kommenden Sommer.

Dann verunglückt mit Ralf Gantzhorn ein Freund, fünf Tage später mit Andreas Lindner einer meiner Jungs des DAV Expeditionskaders. Leere, Schmerz, Orientierungslosigkeit. Und wieder zurück in die Berge, in kleinen, unsicheren Schritten.

Eine Spur von Hoffnung. Und Dankbarkeit, für die vielen zweiten Chancen, die anderen verwehrt blieben.

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Bergfreund Fritz

Zum Klettern und Bergsteigen kam ich, weil etwas wie eine große Faszination für die steile Welt in mir verankert ist (und durch ein paar Zufälle). Sicher ist es zu viel zu früh für ein Fazit. Aber wenn ich auf meine mittlerweile rund 25 Kletterjahre zurückblicke, denke ich, dass ich den Bergen und Wänden viel zu verdanken habe.

2 Kommentare zum Artikel

  1. Vincent Krause 27. November 2022 20:59 Uhr

    Danke für diese ehrlichen Einblicke, ich kann mir vorstellen wie schwer das ist darüber zu schreiben. Wenn man in den sozialen Medien unterwegs ist vermisse ich manchamal die Dankbarkeit für schöne Bergtouren mit guten Ausgang. Da werden oft kritische Situationen belächelt und schnell schon an das nächste Ziel gedacht.

  2. Mari 17. Januar 2021 12:32 Uhr

    Danke für die Ehrlichkeit in diesem Artikel! Kenne solche Verletzungen, da eine Kleinigkeit mit dem Knie, der Sehne, immer wieder ans gesundheitliche Limit...und schleichend wehrt sich der Körper mit Schlaflosigkeit, Depression, Tinitus.....ich bin fast über zeugt, dass mein Partner nicht tötlich erkrankt wäre, hätte er früher auf seinen Körper, der Signale aussendet, gehört. Er war ein Mann der die Berge liebte, der wagemutig und verwegen kletterte und genauso auch auf Schieern unterwegs war....

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