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Klettern der TECHNO-ROUTEN IM VORALPTAL

Techno-Routen im Voralptal: „The Shield“, „The School of Rock“ und „North Face Exit“

Inhaltsverzeichnis

Klettern The Shield
The Shield, die ersten Meter im Jahr 2008. Foto: C. Semmel

21. August 2008, Urner Alpen. In der Nacht hatte es geregnet, in den höheren Lagen sogar geschneit. Lukas Binder und ich warteten bis mittags, bis der Fels halbwegs abgetrocknet war. Dann stiegen wir ein und zündeten den Turbo. Nur 2 Stunden und 18 Minuten später blickten wir von der Gipfelnadel des Salbits zurück auf seinen großen, berühmten Westgrat, auf die vielen Granitzacken, die wir gerade überklettert hatten. Am Abend checkten wir am Zeltplatz auf der Göscheneralp ein, zusammen mit dem Rest unseres Expedkader-Teams, mit dem wir damals unterwegs waren.

Bevor wir weiterzogen, machten wir am nächsten Tag noch einen Ausflug ins Voralptal. Ein Teil des Teams landete schließlich am Einstieg der Techno-Route „Muja Hedder“ und ich eher zufällig in einer feinen Rissspur rechts der Route. Allerdings war mein Akku ziemlich leer an diesem Tag und ich kam nicht besonders weit. Daniel Gebel, einer unserer Trainer, kletterte den Riss zu Ende und setzte einen Bolt.

Zurück ins Voralptal

Gut 20 Minuten geht man von der Voralpkurve Richtung Voralphütte, bevor man den Weg nach rechts verlässt und über Blöcke zu einem kleinen Seitental aufsteigt, an dessen Eingang ein perfekter Granitpfeiler steht. Dieser Fels, vor allem aber das traumhaft schöne Voralptal, das Basecamp auf der Göscheneralp – all das hat einen festen Platz in meinem Herzen gewonnen. Es ist nicht die große Bühne, nicht Chamonix, nicht Patagonien, nicht das Yosemite Valley, nicht der Karakorum.

Aber ich fühle mich dort ein Stück weit zuhause. Keine Ahnung, warum es sieben Jahre dauern sollte, bis wir im Sommer 2015 an unserer Route weiterarbeiteten. Vielleicht hat es einfach eine Maschine wie Lorenz Gahse gebraucht. Fast zwei Tage hämmerte, putzte, und bohrte er, bis die 40 Meter lange 2. Seillänge dieser neuen Route geschafft war. Wir hatten nur eine Mini-Bohrmaschine dabei, und deren Akku gab nicht mehr viel her. Den Stand-Bolt bohrte Lorenz im Wesentlichen von Hand, und danach war er wirklich einmal platt.

Klettern 2 Seillänge von The Shield
Lorenz Gahse bei der Erstbegehung der 2. Seillänge von The Shield. Foto: F. Miller

Ein schwerer Schlag

Finn Koch klettert
Finn Koch bei der ersten Wiederholung von The School of Rock. Foto: F. Miller

Ebenfalls im Sommer 2015 gelang Finn Koch und mir die Erstbegehung der Route „The School of Rock“ (7a+, A3+, 195 m). Sie verläuft links der „Muja Hedder“ und mündet kurz vorm Gipfel des Pfeilers in die Route „Traumschiff“. Während der Erstbegehung setzten wir nur einen einzigen Bolt.

Erst später richteten wir die Standplätze mit jeweils zwei Bolts ein. Mitte August 2016 waren wir erneut in der Wand, um der Route den letzten Schliff zu verpassen. Anschließend eröffneten wir, vom Biwakband startend, eine weitere Seillänge der neuen Route. Lorenz war zu dieser Zeit länger verreist und deshalb nicht mit dabei. Wenig später verunglückte er im Alter von 17 Jahren im Wettersteingebirge. Es war ein schwerer Schlag. Ein einschneidendes Ereignis, das unsere Welt von jetzt auf nachher veränderte.

Es folgte eine schwierige Zeit, voller Zweifel und ohne Antrieb für eigene Kletterprojekte. Im Dezember 2016 machten wir, Finn und ich, uns auf den Weg zur Eiger Nordwand. Es war an der Zeit, mich meiner Situation zu stellen, wieder Mut und Energie aufzubringen. Nicht nur zum Klettern, sondern auch, um die Verantwortung für einen jungen Kletterpartner durch eine solche Wand zu tragen (durch diese Wand, von der Lorenz immer geträumt hatte). Uns glückte ein kleiner, für mich bedeutsamer Schritt nach vorn, letztendlich auch in Richtung Voralptal, wo noch immer ein gemeinsames Projekt auf seine Vollendung wartete.

Pendelquergang am Cliff

Pendelquergang in der 5. Seillänge von The Shield
Pendelquergang in der 5. Seillänge von The Shield. Foto: M. Schuster

Von 2017 bis 2018 konnte ich mit dem NRW Alpinkader eine weitere Techno-Route im Voralptal erstbegehen: „Mosquito Circus“ (A3, 6c, 285 m). Parallel dazu, Ende Juni 2018, ging es dann auch endlich beim Langzeitprojekt voran. Vor allem aber tat es gut, nach einer langen Zeit mit Knieproblemen und einer Meniskusoperation überhaupt wieder in den Bergen unterwegs sein zu können.

Diesmal war Michaela Schuster mit von der Partie, und wenn sie am Start ist, dann geht auch was voran. Wir biwakierten in der Wand, am großen Band nach der dritten Seillänge. Urs Waldispühl und Lars Hofer, Erstbegeher der „Muja Hedder“, gaben uns das Okay, weiter oben in der Wand einen zusätzlichen Standplatz bohren zu dürfen.

Von diesem kletterten wir den perfekten Riss der 6. Seillänge der „Muja Hedder“ und von dort nach links weiter, um eine Verbindung zum Ausstieg unserer Route „The School of Rock“ zu schaffen. Ein paar Züge gingen noch an natürlichen Strukturen, bis ich vor einer absolut glatten Platte stand. Zwei 8-mm-Bolts und zwei BAT-Hook-Löcher später war wieder einmal der Akku der kleinen Bohrmaschine leer. Ich legte den Cliff ins letzte Loch und Michaela lies mich daran ab, bis ich tief genug war für einen gewagten Pendelquergang zum nächsten Riss…

The Shield

Michaela Schuster in der 2. Seillänge
Michaela Schuster in der 2. Seillänge (A3-) von The Shield. Foto: F. Miller

Zwei Tage später erreichten wir erneut die Headwall des Pfeilers und bohrten den noch fehlenden Bolt für den Pendelquergang. Über den Ausstieg der Route „The School of Rock“, die wiederum in der letzten Seillänge vom „Traumschiff“ mündet, konnten wir unsere Routenkombination schließlich zu Ende klettern.

Wir gaben ihr den Namen „The Shield“, inspiriert von der glatten Headwall des Pfeilers, durch die unsere Linie führt. Ein großer Name für eine solche Route? Vielleicht, aber nicht in meiner Wahrnehmung, in der „The Shield“ für mehr steht als nur ein paar Meter Fels.

Das Horror-Flake

Im Sommer 2018 gab es noch einmal eine Veränderung im Bereich der zweiten Seillänge. Diese beginnt mit einem feinen Hakenriss, gefolgt von einer Platte (Bolt) und einem etwas breiteren Riss, der wiederum zu einem Risssystem links unserer Route führt. Ein paar Haken zeugen davon, dass dort früher schon geklettert wurde. Allerdings wurde der Weiterweg zum Biwakband von einer großen, beängstigend hohlen Schuppe versperrt, die irgendwie an der Wand klebte.

Jedem war klar, dass man daran nicht klettern sollte. Also zweigte Lorenz damals (2015) vor der Schuppe rechts ab, umging das Problem mit Hilfe eines Bathooks und eines 8-mm-Bolts und konnte so einen weiter rechts verlaufenden Riss erreichen. Im August 2018 wurde die Schuppe dann von einem lokalen Bergführer ins Tal geschickt. Dadurch ergab sich nicht nur ein direkterer und einfacherer Zugang zum Biwakband, es änderte sich auch die Einschätzung unserer Linienführung, die plötzlich gesucht  erschien. Letztendlich ändert das aber nichts am Charakter der Route. Es ist offensichtlich, dass sie die interessantesten Strukturen sucht, nicht den einfachsten Weg durch die Wand.

North Face Exit

Andreas Lindner bei der ersten Wiederholung des North Face Exit. Foto
Andreas Lindner bei der ersten Wiederholung des North Face Exit. Foto: F. Miller

Im August 2019 erschlossen Korbinian Fischer und ich schließlich noch eine Ausstiegsvariante durch die überhängende Nordwand des Turms. Sie ist schwieriger als der Originalausstieg übers „Traumschiff“ und verleiht der Route mehr Eigenständigkeit. Der „North Face Exit“ verlangt kaum zusätzliches Material, so dass man sich nicht vorher auf eine Variante festlegen muss.

Eine Frage des Stils

Wir haben uns beim Einrichten unserer Routen viele Gedanken darüber gemacht, was wir bezwecken und hinterlassen wollen. Geht es uns primär darum, eine Erstbegehung zu realisieren oder wollen wir etwas für andere schaffen? Was wollen wir Wiederholern an Mühen und Gefahren zumuten?

Ist es überhaupt sinnvoll, eine Route zu zähmen? Je länger ich über diese Fragen nachdenke, desto unsicherer werde ich. So bleibt mir nur zu hoffen, dass unserer Arbeit von Wiederholern verstanden und wertgeschätzt wird – und natürlich, dass sie immer gesund und glücklich aus dem Voralptal zurückkehren.

Routeninfos The Shield (A3-, 6c, 215 m, 7 SL)

Routenverlauf von The Shield
Routenverlauf von The Shield. Foto: F. Miller

EB: Fritz Miller, Lorenz Gahse, Michaela Schuster, Daniel Gebel 2008–2018

  • Anspruchsvolle und abwechslungsreiche moderne Technoroute mit eleganter Linienführung und bester Felsqualität. „The Shield“ verläuft in Teilen gemeinsam mit den Routen „Muja Hedder“, „The School of Rock“ und „Traumschiff“. Die Schwierigkeiten (wie auch der Gesamtanspruch) dieser Routenkombination liegen zwischen „Muja Heddder“ und „Mosquito Circus“, weshalb wir uns für den unüblichen Grad A3- entschieden haben. Für die beiden Ausstiegslängen braucht man nur noch Freiklettermaterial inkl. folgender Cams: 1 x C4 #0.4–3 sowie 1 x #6 am Beginn des breiten Risses der 6. SL. Keile, Haken usw. können am Band gelassen werden.

Empfohlenes Material:

  • 50-m-Seile
  • Microkeile
  • Rocks 1-7
  • Offsetkeile (mittlere Größen)
  • Ballnuts Gr. 2–4 (optional)
  • 1–2 x Cam C3 #00–1
  • 2–3 x Cam C4 #0.3–0.5
  • 1 x Cam C4 #1–3
  • 5 Beaks/Peckers (3 x klein, 2 x mittel)
  • 5 Knifeblades (versch. Größen)
  • 2–3 Angles (V-Profilhaken), kleine und mittlere Größen
  • 2–3 LAs (Schmiedehaken), kleine und mittlere Größen
  • 2 Drehmomenthaken, kleine und mittlere Größe
  • 2 x Camhook small (optional)
  • 1 x Hook für 8-mm-Bohrloch
  • Kantenschutz fürs Seil empfehlenswert
  • Mückenspray

Routeninfos The School of Rock (7a+, A3+, 195 m, 7 SL)

EB: Fritz Miller, Finn Koch 08/2015

Fabian Hagenauer in der 2. Seillänge (7a+) von The School of Rock
Fabian Hagenauer in der 2. Seillänge (7a+) von The School of Rock. Foto: F. Miller

Sehr anspruchsvolle Route, die schwierige und teils schlecht absicherbare Freikletterei mit extremer Technokletterei verbindet. Die Standplätze liegen allesamt an bequemen Bändern oder Absätzen und sind mit jeweils zwei Bohrhaken ausgerüstet. Gebohrte Zwischenhaken gibt es aber nicht. In der 4. Seillänge muss eine längere Passage an kleinen Beaks und Cliffs geklettert werden. Achtung, hier sind weite und gefährliche Stürze möglich!

Die dritte Seillänge kann frei geklettert werden (linke Variante, 6c). Interessanter ist aber die rechte Variante, eine stumpfe, glatte Verschneidung (A2+). Am Band nach der Verschneidung fanden wir drei Bolts vor (einer ohne Lasche), deren Herkunft sich bisher nicht klären lies. Wir vermuten, dass diese Seillänge schon früher geklettert wurde. Die fixen Schlaghaken in dieser Länge bitte nicht entfernen – man muss sie beim Abseilen clippen!

Empfohlenes Material:

  • 50-m-Seile
  • Micro-Offsetkeile und Offsetkeile (mittlere Größen)
  • Ballnuts Gr. 2–4 (optional)
  • 1 x Cam C3 #00 – 1
  • 2 x Cam C4 #0.3 – 2 (kleine Größen besser Aliens)
  • 1 x Cam C4 #3
  • 1 x Cam C4 #6 (empfehlenswert für SL 6)
  • 8 Beaks/Peckers (5 x klein, 3 x mittel)
  • 5 Knifeblades (versch. Größen)
  • 2–3 Angles (V-Profilhaken), kleine und mittlere Größen
  • 2–3 LAs (Schmiedehaken), kleine und mittlere Größen
  • Hooks (2 x Talon, 1 x Cliff, 1 x Grappling Hook)
  • Drahtbürste
  • Mückenspray

Routeninfos „North Face Exit“ (A2+, 5b, 75 m, 2 SL)

EB: Fritz Miller, Korbinian Fischer 08/2019

Korbinian Fischer in der 5. Seillänge (6b) von The School of Rock
Korbinian Fischer in der 5. Seillänge (6b) von The School of Rock. Foto: F. Miller

Luftiger Techno-Ausstieg von „The Shield“ und „The School of Rock“. Die erste Seillänge ist clean, in der zweiten Seillänge haben wir drei Bolts gebohrt sowie ein BAT-Hook-Loch (8mm) vor dem ersten Bolt. Für die letzten Meter der ersten Seillänge braucht man Kletterschuhe (Reibungsplatte). Schuhwechsel bei Absatz mit kleinem Baum (siehe Topo)!

Für den „North Face Exit“ benötigt man einen BD Talon, einen Cliff für das 8-mm-Bohrloch oder einen zweiten Talon sowie einen großen Hook (z. B. BD Grappling Hook).

Routeninfos „Muja Hedder“ (A2+, 5c, 155 m + 40 m 6c)

Der Techno-Klassiker im Voralptal. Infos gibt’s hier: http://www.techno-climbing.ch/

Tipp: Sitzbrett für den Hängestand nach der 1. Seillänge mitnehmen. Außerdem sind Rivethanger (Draht) und/oder ein paar M6-Muttern empfehlenswert, für die 6-mm-Bolts ohne Laschen. Darüber hinaus stecken hier und da noch Schlaghaken, die ich nicht im Topo eingezeichnet habe. In den letzten Jahren konnte man die Route ohne Probleme mit einem deutlich kleineren Hakensortiment als dem ursprünglich empfohlen wiederholen. 10 Schlaghaken verschiedener Art und Größe sowie 3 Beaks sollten locker genügen.

Allgemeine Informationen rund um die Routen

Zustieg: Von der Voralpkurve (1402 m, Parkplatz und Bushaltestelle) dem Weg zur Voralphütte folgen. Nach 20 min Gatter, kurz darauf Doppelkehre. 13 m nach der zweiten Kehre weglos rechts hoch in schwache Waldschneise (ca. 1565 m). Den Steinmännern folgen bis kurz vor den Einstieg der Route „Traumschiff“ am untersten Ansatz des Pfeilers. Weiter aufsteigen, zuletzt über große Blöcke und durch Spalt direkt an der Wand zu den Einstiegen. Mit Bigwall-Gepäck insgesamt ca. 1h10.

Abseilen: Bis zum Biwakband seilt man am besten über „School of Rock“ ab, wie im Topo eingezeichnet. Alle Abseilstellen sind eingerichtet. Vom Gipfel des Turms einmal kurz abseilen (ca. 15 m) zu Bolt mit Maillon und Ring (Zwischenhaken vom „Traumschiff“). In der Verschneidung oberhalb des Biwakbandes Zwischensicherungen clippen, sonst hängt man in der Luft!

Mann auf Gipfel
Am Gipfel des Turms. Foto: M. Schuster

Topo der Routen (Fritz Miller): Topo The Shield und The School of Rock klein

Wasser: Am besten mitbringen, denn der Bach im Voralptal ist nicht immer klar. Weiter oben gibt’s kein Wasser mehr.

Taktik/Biwak: Nur schnelle Seilschaften können diese Routen als Tagestour klettern. Die meisten Teams werden Tal bis Tal eineinhalb oder zwei Tage brauchen. Entweder am ersten Tag die ersten Seillängen fixieren und im Tal übernachten oder am großen Band biwakieren. Dort ist Platz für bis zu 6 Personen. Das Gepäck kann mit einem „Haul“ aufgezogen werden (50 m). Thema „Klo“: Das Biwakband und auch der Einstiegs-Bereich darunter dürfen nicht beschmutzt werden! Man verrichtet sein Geschäft am besten in eine Plastiktüte, packt alles in eine weitere Plastiktüte, stopft das dann in eine leere Travellunch-Packung und verschließt diese (ggf. mit Tape). Diese Bombe dann im Tal verantwortungsvoll entsorgen. Für den Transport empfiehlt sich ein kleines Kunststoff-Fass mit Schraubdeckel.

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Bergfreund Fritz

Zum Klettern und Bergsteigen kam ich, weil etwas wie eine große Faszination für die steile Welt in mir verankert ist (und durch ein paar Zufälle). Sicher ist es zu viel zu früh für ein Fazit. Aber wenn ich auf meine mittlerweile rund 25 Kletterjahre zurückblicke, denke ich, dass ich den Bergen und Wänden viel zu verdanken habe.

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