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Das A-Z des Transalpine Runs - Teil 1

Das A-Z des Transalpine Runs

Inhaltsverzeichnis

Wenn man gerne und oft Ausdauersport betreibt, kommt man unweigerlich an einen Punkt, an dem man darüber nachdenkt, wie man seine Grenzen verschieben kann. Sei es, in dem man sich bei der Strecke steigert, statt 5 km mal 10 km anstrebt oder seine Zeiten verbessern möchte. Soweit relativ normal. Was aber tun, wenn man irgendwann mal das große Ziel Marathon gemeistert hat? Nun, da gibt es dann noch so schöne Dinge wie Ultramarathons. So bezeichnet man prinzipiell alle Strecken, die über die 42,215 km hinaus gehen.

Dann kann man sowas noch in den Bergen machen. Und – für die ganz verrückten – mehrere Tage hintereinander. Einer dieser “Verrückten” – ganz im positiven Sinne – ist unser Johannes. Er kümmert sich normalerweise im Einkauf um Trekking-Nahrung und Bücher. In seiner Freizeit rennt er aber gerne über die Schwäbische Alb und die Alpen. Dieses Jahr stand für ihn erneut der Transalpine Run auf dem Plan. Ein schwieriges Thema, musste er doch bei seinem ersten Versuch 2014 aufgrund von Krankheit leider aussteigen. Doch 2017 hat er es endlich geschafft und sein Ziel erreicht – so viel sei schon mal verraten. Für euch hat er die sieben Tage in einem ABC zusammengefasst. Im ersten Teil arbeiten wir uns bis zum Buchstaben M vor.

A wie Anfang

Das A-Z des Transalpine Runs - Teil 1
Anfang: Gespannte Erwartung beim verregneten Start in Fischen. Foto: Florian Schütz

Ja, wo fängt man nur an? Vielleicht damit: 4 Länder – 7 Etappen – 2 Läufer – 274,7 Kilometer – 15.258 Höhenmeter. Damit wären die Fakten mal geklärt. Angefangen hat dann alles an einem verregneten Septembermorgen in Fischen im Allgäu. Die Fakten kannte ich zu diesem Zeitpunkt natürlich. Ich meinte auch zu wissen, was auf mich zukommen wird. Nun …. Ähem …. Ich wusste es nicht. Ich dachte schon, dass es hart werden wird. Ich dachte schon, dass es auch mal weh tun wird. Aber es war noch viel härter und es tat noch viel mehr weh.

B wie barfuß

Lieber Leser, glaube mir, es gibt wenig Schöneres als nach einem Tag voller Transalpine Run seine nassen, stinkigen und matschigen Trailrunningschlappen sowie die nicht minder duftenden Socken auszuziehen und barfuß in einen eiskalten Bergbach zu steigen. Die ganz Harten legen sich gleich komplett rein, aber mir war da doch die warme Dusche lieber.

C wie Chillen

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Chillen: Ftan oberhalb von Scuol. Ein nettes Plätzchen, um sich vom harten Rennalltag zu erholen, findet ihr nicht auch? Foto: Johannes Moll

Die Tage beim Transalpine Run liefen eigentlich immer nach dem gleichen Muster ab: Morgens bis mittags wird gelaufen, nachmittags wird gechillt. Diese wertvolle Zeit der Regeneration war enorm wichtig. Heiß duschen, Beine hochlegen, massieren lassen, futtern und trinken sowie einfach mal loslassen, die Seele schweben lassen. Ganz nach dem Motto „Run hard – relax harder“.

D wie Downhill

Downhill, das kann bedeuten vorsichtig einen Fuß vor den nächsten zu setzen. Dabei dauernd darauf bedacht sein, nur nicht zu stolpern über die vielen Wurzeln und Steine, die sich dem Läufer gerne mal in den Weg stürzen. Downhill kann aber auch bedeuten „Kopf aus, Herz ein“, Beine wirbeln lassen und auf die eigene Trittsicherheit zu vertrauen – und den Berg runter bügeln.

Für mich ist der Downhill eigentlich die anspruchsvollste Disziplin beim Trailrunning und besonders auch beim Transalpine Run. Bergauf ist reines Konditionsbolzen. Dabei kommt es zwar auch auf die richtige Technik an, aber der Gelenkapparat ist nicht besonders gefordert. Ganz anders sieht es im Downhill aus, vor allem in der „Bügelvariante“. Da ist der Gelenkapparat extrem gefordert, die Muskeln glühen. Das Zusammenspiel zwischen Augen und Füßen muss hundertprozentig funktionieren. Und man darf nicht darüber nachdenken, was wäre, wenn? Dann hast Du verloren. Aber, Du bist zum Siegen beim Transalpine Run, daher nicht denken, lass es wirbeln.

E wie Etappen

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Etappen: Auf der dritten Etappe ging es über Matschrutschbahnen von St. Anton am Arlberg nach Landeck – meine erste Etappe als Einzelkämpfer. Foto: Sportograf

Die Etappen konnten fast nicht unterschiedlicher sein. Die ersten beiden waren geprägt vom Schnee, der durch eine Kaltfront vor allem in die Hochlagen der nördlichen Kalkalpen geworfen wurde. Es wurden Alternativstrecken gelaufen. Vor allem die 1. Etappe (Fischen im Allgäu nach Lech am Arlberg; 41,6 Kilometer/ 1.753 Höhenmeter) wurde sehr kontrovers im Läuferfeld diskutiert, glich sie doch eher einem Landschaftslauf mit kleinem Trailanteil und viel Asphalt.

Wesentlich schöner war da bei bestem Wetter die 2. Etappe (Lech nach St. Anton am Arlberg; 26,8 km / 1.827 Hm), die allerdings von Bastis (meinem Teampartner) Gesundheitszustand bestimmt wurde. Etappe 3 (ST. Anton nach Landeck; 43,7 km / 2.185 Hm) war gefühlt eine Übergangsetappe, bot spaßige Matschtrails, geile Flowtrails und weniger schöne Radwege; und das bei teils mystischen Wetterkapriolen. Die 4. Etappe (Landeck nach Samnaun; 45,5 km / 2.950 Hm) war sowas wie meine Schicksalsetappe, mein mentaler und körperlicher Tiefpunkt, aber auch meine Wiedergeburt (siehe K – Königsetappe). Etappe 5 (Samnaun nach Scuol; 39,4 km / 2.244 Hm) führte uns durch herrliche Hochgebirgslandschaften in das nicht minder schöne Engadin. Hier keimte in mir die Gewissheit, dass ich den Transalpine Run finishen würde (S – Scuol). Die Grenze von der Schweiz nach Italien überschritten wir auf der 6. Etappe (Scuol nach Prad am Stilfser Joch; 46,5 km / 1.750 Hm); herrliche Trails, tolle Aussichten, ein Gruß von König Ortler und die wildromantische Uina-Schlucht (U – Uina-Schlucht).

Nebenbei konnte ich Teams hinter mir lassen, von denen ich bisher nur den Rücken sah. Etappe 7 (Prad nach Sulden am Ortler; 31,2 km / 2.591 Hm) sollte das große Finale werden. Leider versteckte sich der Ortler im Nebel. Am Fuße dieses majestätischen Berges zündete ich den Turbo, sammelte bergauf zur Tabarettascharte Team um Team ein und konnte nach einem begeisternden Downhill (J – Jagd) meine beste Platzierung holen. Ich lief die 18. Beste Zeit des Tages von 273 Läufern / Teams, und das nach sieben harten Tagen.

F wie Fans

Man läuft unzählige Kilometer alleine durch hochalpine Landschaften, kämpft sich Asphaltpisten und Forstwege rauf und runter oder gleitet über Matschrutschbahnen gen Tal. Und dann ist da dieser eine Moment, wo liebe und bekannte Menschen stehen und einen anfeuern. Das sind für mich immer ganz spezielle Augenblicke. Beim Transalpine Run haben meine Schwiegereltern jede Etappe mitgemacht. Sie sind bei Wind und Wetter dagestanden und haben mich zu jeder Zeit mit motivierenden Worten unterstützt. Das war schon richtig cool und ich habe feststellen müssen, wie wichtig diese Unterstützung ist. Das kann Dich dann schon mal über die nächsten schwierigen Kilometer beflügeln.

G wie Grenzen

Grenzen gab es einige beim Transalpine Run. Da sind einmal die Ländergrenzen, die wir meist unbemerkt überrannt haben. Es waren drei an der Zahl. Es gibt ja Menschen, die wollen wieder Grenzen, Mauern und Zäune errichten. Ich fand dieses grenzenlose Gefühl genial. Die schönste Ländergrenze war die aus der Schweiz nach Italien rein. Erstens war es die letzte Grenze. Und zweitens die schönste. Hier am Schlinigpass öffnete sich nach der faszinierend-düsteren Uinaschlucht der Horizont wieder, die Sonne strahlte und der Ortler, der König Südtirols, grüßte mit seinen gleisenden Schneefeldern zu uns herüber. Was für eine grandiose Szenerie. Und dann waren da noch die mentalen und körperlichen Grenzen, die meist Hand in Hand gingen. Mehrmals musste ich sie verschieben, musste aus meine Komfortbereich heraus. Aber es hat sich gelohnt.

H wie Hotel

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Hotels: Luxus pur. Foto: Yvonne Moll

Es gibt die Möglichkeit, die Nächte beim Transalpine Run im Camp zu verbringen. Camp steht in diesem Fall allerdings für laut, unruhig und unbequem. Ich kann mich an Erzählungen erinnern, welche von Weckern handelten, die bei einem Start um 8:00 Uhr schon um 5:00 Uhr die ganze Halle weckten; Erzählungen, die über schmerzende Rücken nach der dritten Nacht auf der Isomatte klagten. Genau aus diesen Gründen haben meine Frau und ich die Woche in Hotels verbracht. Ich brachte meinen Körper in dieser Woche an die Grenze. Da war es Balsam für den geschundenen Läufer, sich im eigenen Hotelzimmer in aller Ruhe erholen zu dürfen, eine Dusche für mich alleine zu haben und morgens nicht von übereifrigen Mitläufern aus den süßesten Läuferträumen gerissen zu werden.

I wie Innerer Schweinehund

Der innere Schweinehund ist ein ständiger Begleiter beim Transalpine Run. Er meldet sich bereits morgens beim Aufstehen. Vor der 1. Etappe ist er noch ganz klein, wird aber mit jedem Tag größer. Irgendwann denkst Du dann nur „Ach Wecker, halt die Klappe, ich will schlafen.“ Aber es hilft ja nix. Er meldet sich beim ersten Anstieg, beim zweiten Anstieg und beim letzten Anstieg. Man muss ihn Bezwingen, schließlich heißt jeder bezwungene Anstieg einer weniger bis zum Ziel. Er meldet sich, wenn Du Dich bei Regen in den Startblock stellst und Dich fragst „Wieso machst Du diesen Quatsch hier? Du könntest warm und gemütlich beim Frühstück sitzen und einen heißen Kaba trinken.” Er meldet sich, wenn die Schmerzen größer werden und Du Dich einfach hinsetzen und diesen ganzen Blödsinn beenden willst. Dennoch überwindest Du ihn, denn Du hast diesen einen Wunsch: Das Ziel erreichen und diesen nervigen inneren Schweinehund auf seine Decke verweisen.

J wie Jagd

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Jagd: Die Jagd von der Tabarettascharte runter nach Scuol – die Beute direkt vor mir. Foto: Sebastian Dämmig

Zugegeben, Jagd hört sich da vielleicht etwas martialisch an. Auf der anderen Seite war es schon sehr mystisch und eben martialisch, als der Wind die Ortlernebel für einen kurzen Moment wegpustete und eine Aussicht freigab, die mir das Blut in den Adern gefrieren lies. Gerade eben hatte ich eines meiner – verzeiht bitte die Wortwahl – geilsten Überholmanöver ever unterhalb der Tabarettascharte gemeistert, hab im technischen Gelände danach nochmal zwei Teams überholt und war dann da oben in der Bärenscharte.

Für einen Augenblick nur hatte ich den Blick frei in den Downhill nach Sulden runter. Und da liefen sie, Marianne und Mathieu, das souverän führende Mixed Team, sowohl diese als auch von jeder Etappe davor. WOW, so weit vorne war ich noch nie. Sollte ich auf der letzten Etappe auch meine beste Platzierung erreichen und vor der schnellsten Frau des gesamten Feldes sein?

Probieren wir’s, die Jagd war eröffnet. Und ich jagte den Berg runter, jagte wie selten zuvor. Ich kam näher, immer näher. Mein Kopf war längst ausgeschaltet, meine Beine und Arme hatten das Kommando an sich gerissen. Gemeinsam wirbelten sie meinen Körper in einer 5:00er Pace über teils sehr technisches Gelände dem Ziel und meiner Beute entgegen. Da sind sie, direkt vor mir. Überholen bei diesem Höllentempo auf dem schmalen Trail war schwierig. Also hinterher, abwarten. Irgendwann kam dann mein Moment. Kurzer Gegenanstieg, breiterer Weg, durchziehen, der Jäger schnappte seine Beute, zog vorbei. Der Kopf schaltete sich wieder dazu und vermeldete: Jagd erfolgreich!!

K wie Königsetappe

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Königsetappe: Irgendwann war das Ziel in Samnaun erreicht – mir kam Udo Jürgens Liedtext in den Sinn: „Ich wünsch Dir Liebe ohne Leiden und dass Dir die Hoffnung fehlt“ – kam mir passend vor, gehören beim Transalpine Run doch Liebe, Leiden und Hoffnung unweigerlich zusammen. Foto: Yvonne Moll

46 Kilometer und 2.950 positive Höhenmeter; 6 Stunden 39 Minuten und eine Pace von 8:45 min/km. Das sind die nackten Fakten der Königsetappe von Landeck nach Samnaun. Aber sie war für mich noch viel schlimmer, als sich die Daten lesen. Was war schlimm?

  1. Das Skigebiet oberhalb von Serfaus. Selten habe ich aus Gründen der Bespaßung der Menschheit so viel Naturzerstörung gesehen. Wer dort im Winter fröhlich runterwedelt und beim Aprés Ski feiert möge bitte mal im Sommer dort hochgehen und ein wenig reflektieren oder versuchen, auf den Skipisten einen Blumenstrauß zu pflücken.
  2. Meine Schmerzen an beiden Fersen wurden immer schlimmer. Bergauf durchzuckte mich bei jedem Schritt eine Schmerzfontäne. Bei jeder Labestation habe ich mir überlegt, ob das Sinn macht, wollte mich hinsetzen und heulen, mit der nächsten Bahn ins Tal schweben. Ich musste mich durchbeißen, von Anfang bis Ende. Es war meine härteste Etappe, mein Tiefpunkt, sowohl körperlich als auch mental.
  3. Die Zielankunft in Samnaun musste man sich auf den letzten Kilometern teuer erkaufen. Breiter Schotterweg, leicht ansteigend, im Wald. Irgendwo am Horizont erspähte ich den Ort Samnaun, der sah so weit weg aus und wollte nicht näherkommen. WOW, das war hart. Und für mich war es das tiefe Tal, das ich durchschreiten musste, um den inneren Schweinehund auf seine Decke verweisen zu können.

L wie Laster

Schokolade Geschmacksrichtung “Ganze Haselnuss” am besten ne ganze 300g Tafel. Und glaubt mir, wenn die mal nicht da war, bin ich wie ein hungriger Tiger im Gehege rumgelaufen. Daher hat meine liebe Frau dafür gesorgt, dass das nie passiert ist.

M wie Miteinander

Transalpine Runs
Miteinander: Mit Marcel (rote Hose) bildete ich von Etappe 3 bis 5 ein „Individual Finisher Pärchen“. Auch er hatte seinen Partner verloren. Wir haben uns super verstanden. Leider musste Marcel später auch aussteigen. Foto: Sportograf.

Hier will ich eigentlich nur ein Zitat eines Läufers bringen, welches er mir hinterherbrüllte, als ich im rasenden Downhill nach Scuol an ihm und seinem Teampartner vorbeiballerte: „Hey, great job Dude!! Come on! Go! Go! Go!“

Und das soll es an dieser Stelle erstmal gewesen sein. Wie es im ABC der Qual… Pardon, des Transalpine Runs weitergeht, erfahrt ihr nächste Woche im Basislager-Blog!

N WIE NUDELPARTY

Am Abend einer jeden Etappe hat sie stattgefunden, die ominöse Nudelparty, auch Pastaparty genannt. Abend für Abend sammelten sich hier die Transalpine Run Teilnehmer, um die leeren Kohlenhydratspeicher wieder aufzufüllen. Es wurde über die letzte Etappe kontrovers diskutiert, es wurde sich gegenseitig wegen diverser Wehwehchen bedauert und es wurde über das Wetter geschimpft – Small Talk eben.

Pause am Transalpinerun
Nicht nur in den Etappenorten stimmte die Verpflegung, auch auf der Strecke – Wassermelone, Tomaten und Gurken mit Salz, Cola. Da fällt das Grinsen dann auch leichter.

Nudeln konnte ich nach dieser Woche nicht mehr sehen. Sie wurden uns mit unterschiedlichen Saucen serviert, die eine etwas leckerer, die andere eher an rotes, dickes Wasser erinnernd und nicht ganz so lecker. Der nicht nur im übertragenen Sinne Höhepunkt war die Nudelparty in Samnaun. Mir der Seilbahn sind wir direkt ins Herz der Samnauner Bergwelt gebracht worden. Bei bestem Wetter eine Traumaussicht. Und dann erst das Essen. „Nudelparty“ wird dem nicht gerecht. Es war ein Dinner, was uns hier im Gipfelrestaurant serviert wurde – WOW.

O WIE OCHSENSCHARTE

Darüber hüllen wir den Mantel des Schweigens. Nur so viel, es war der Höhepunkt des Tiefpunktes.

P WIE PARALLELKOSMOS

Aufstehen – Frühstücken – Laufen – Regenerieren – (Fr)Essen – Schlafen. Sieben Tage am Stück. Jeden Tag der gleiche Ablauf. Man taucht ein in einen Parallelkosmos, steigt vollkommen aus dem Alltag aus. In diesen Tagen hätte Trump Nordkorea zerstören, der BV 09 Borussia Dortmund nachträglich zum Deutschen Meister erklärt werden oder die Bergfreunde aus Kirchentellinsfurt nach China expandieren können. Ich hätte das nicht mitbekommen. Dieser Parallelkosmos hat sich angefühlt wie eine Entgiftungskur für die all die Sorgen, für all die dunklen Gedanken, die einen im Alltag belasten.

Q WIE QUALEN

Transalpinerun - Ochsenscharte
Auf dem Höhepunkt meines Tiefpunktes auf der Ochsenscharte (2.787m) oberhalb von Samnaun auf der 4. Etappe. (Foto; Sportograf)

Udo Bölts schrie einmal Jan Ullrich an „Quäl Dich, Du Sau!“. Am Ende stand der Sieg bei der Tour de France. Nun, wir wollen jetzt nicht über die Dopingpraktiken diskutieren, die unter anderem zu diesem Sieg führten. Viel wichtiger ist doch, dass in diesem Satz viel Wahrheit steckt. Sich zu quälen heißt, seine eigenen Grenzen zu überwinden, diese zu verschieben. Über sich hinauszuwachsen. Es mag beim Transalpine Run Läufer geben, die diesen Lauf auf der linken Arschbacke durchlaufen. Ich nicht, definitiv nicht. Ich musste mich quälen, nicht nur einmal, nicht nur zweimal, oft, sehr oft. Ich musste jeden Tag über meine Grenzen gehen. Mit jedem Tag, den der Transalpine Run dauerte ein wenig mehr. Aber die Qualen haben sich ausgezahlt – mehr dazu unter Z wie Ziel.

R WIE RUNNER’S HIGH

Kennt ihr das? Ihr grinst grenzdebil über das ganze Gesicht, Endorphine sprühen durch euren ganzen Körper, der Schweiß fliest, die Muskeln arbeiten am Anschlag. Ihr seid high, eine innere Wärme breitet sich aus. Warum? Weil ihr lauft, einfach nur lauft. Aber irgendwas macht diesen Laufmoment magisch. Ich hatte beim Transalpine Run mehrere Male ein Runner’s High.

Das macht diesen Wettbewerb aus. Man quält sich, erträgt Schmerzen und Frust – aber immer wieder setzt man dann sein grenzdebiles Grinsen auf und freut sich einfach, dass man hier laufen darf. Gründe können so mannigfaltig wie individuell sein. Für mich war das größte Runner’s High wohl der Downhill nach und die Zielankunft in Scuol.

S WIE SCUOL

Transalpinerun - Zieleinlauf in Scuol.
Mein Lieblingsbild – voller Stolz, Erleichterung und Gewissheit beim Zieleinlauf in Scuol.

In Samnaun stand ich noch grübelnd und unsicher im Startblock. Die Schmerzen in meinen Fersen hatten ihren Höhepunkt erreicht. „No gain, no gain“ – also los. Ich biss mich immer mehr in diese Etappe rein, konnte die Schmerzen ausblenden. Und es lief mit jedem Kilometer besser. Dann war die Fuorcla Campatsch erreicht. Jetzt ging es nur noch bergab, aber nur topografisch gesehen. Denn als ich da oben ankam und mit dem Streckenchef abgeklatscht hatte, machte sich in mir eine Gewissheit breit: „Du schaffst das Ding!“

Also, Kopf aus, Herz ein, Endorphine Marsch. Selten hatte ich so einen grandiosen Downhill – 1.600 Höhenmeter runter, teils steil, teils technisch, teils einfach. Egal, drüber gebügelt und ab ins Ziel nach Scuol. Es fühlte sich an wie ein Triumphzug ins Glück, ein Runner’s High von oben bis unten. Die Gewissheit, den Transalpine Run zu finishen hatte ich spätestens jetzt. Daher war die Zielankunft in Scuol für mich eine ganz besondere. Ich glaube, ich bin wie ein stolzer Hahn durch den Zielbereich stolziert. Heute war ich der King, mein ganz eigener und Scuol war mein Schloss.

T WIE TEAM

Das Besondere am Transalpine Run ist, dass man als Team antritt. Mein Teampartner war Basti. Wir haben uns sehr gewissenhaft vorbereitet. Unzählige Trainingsläufe haben wir gemeinsam in den Allgäuer Alpen gemacht – wir haben uns läuferisch und menschlich kennen und schätzen gelernt. Die Ergebnisse im Vorfeld waren gut, die Motivation hoch und die Ansprüche nicht minder. Doch schon auf der ersten Etappe steckte Basti mir, dass er seit Wochen mit einer leichten Erkältung kämpft; im Alltag kein Problem, bei einer Grenzerfahrung wie dem Transalpine Run allerdings schon.

Basti – Teampartner, Laufkumpel, Leidensgenosse und Freund.
Basti – Teampartner, Laufkumpel, Leidensgenosse und Freund.

So brach er auf der 2. Etappe von Lech nach St. Anton am Arlberg komplett ein. Früh keimte in mir die Erkenntnis, dass unser Team bereits auf der 3. Etappe Geschichte sein sollte. Ich lief fortan als Einzelläufer weiter. Aber Basti reiste weiter mit, unterstütze und motivierte mich wo er konnte. Und einer der magischsten Momente war, als ich im allerletzten Downhill des Transalpine Run von der Tabarettascharte runter nach Sulden hinter dem führenden Mixed-Team herballerte und ca. 4 Kilometer vor dem Ziel Basti auf mich wartete. Gemeinsam jagten wir weiter den Berg runter und hinter den Beiden her. Zusammen liefen wir in Sulden über die Ziellinie. Als Team sind wir in Fischen gestartet, als Freunde sind wir in Sulden angekommen. Danke Dir, Basti!!

U WIE UINASCHLUCHT

Transalpinerun - atemberaubende Uinaschlucht
Durch die atemberaubende Uinaschlucht – rechts Abgrund, links Fels. (Foto: Sportograf)

Beim Transalpine Run erlebte ich traumhaft schöne Landschaften. Der Höhepunkt war die wildromantische Uina-Schlucht. Aus dem lieblichen Engadin rannten wir durch die immer wilder werdende Landschaft auf einem Forstweg hinauf durch das Val d’Uina. Die Szenerie wurde immer dramatischer. Da, einen Blick auf die Schlucht hatte ich durch die Bäume durch erhaschen können, dann versteckte sie sich wieder.

Irgendwann – die erste Labestation des Tages hatten wir gerade passiert – spuckte uns der Wald aus und sie lag vor uns. Links in der Felswand haben arme Schweine Anfang das 20. Jahrhunderts einen Weg in und durch den Felsen gehauen. Davor war die Uina-Schlucht unpassierbar. Unten hüpfte die Uina von einer Kaskade zur anderen. Gähnend war neben uns der Abgrund, der keinen Fehltritt verzeiht. Dessen ungeachtet zogen wir Läufer unsere Spur, verharrten den ein oder anderen Moment in Demut und waren dankbar dafür, diesen Moment bei bestem Wetter erleben zu dürfen. Oben öffnete sich die Szenerie, der Schlinigpass breitete sich vor uns aus; aus dem Dunkel der Schlucht direkt ins Licht einer gleisend schönen und gleichzeitig lieblichen Bergwelt. Welch ein Moment, welch ein Privileg.

V WIE VERSUCHE

Ich habe ihn schonmal versucht, den Transalpine Run. 2014 stand ich gemeinsam mit Markus, einem lieben Kollegen, an der Startlinie. Die Vorbereitung damals lief alles andere als gut. Zugegebenermaßen hatte ich kaum Erfahrung, die eine Teilnahme am Transalpine Run rechtfertigen hätte können. So kam nach der 6. Etappe das Aus. Das war bitter, ich habe damals geheult wie ein Schlosshund, war ein Häufchen Elend. Doch es war mir Ansporn genug, mich diesmal gewissenhaft drauf vorzubereiten. Ich wusste, was auf mich und meinen Körper zukommt. Ich wusste, dass ich es diesmal schaffen werde, allen Widrigkeiten zum Trotz – der zweite Versuch durfte schließlich nicht schiefgehen.

W – WEITER

Eigentlich gehört das ja ans Ende. Aber W kommt nun mal vor Z. Ja, wie geht’s weiter? Mein Plan für das nächste Jahr steht schon. Allerdings kommt gerade eine kleinere Verletzung nach der anderen. Daher bin ich nach dem Transalpine Run noch nicht so recht in Schwung gekommen. Es wird sich zeigen, wie ich jetzt dann alles auskuriere. Darauf steht jetzt erstmal der Fokus. Und der Transalpine Run wird in drei Jahren noch mal angegangen. Dann aber in der Mixed Kategorie mit Blick auf das Podium. Mädels, Bewerbungen werden ab jetzt in Empfang genommen.

X – XTREME

Transalpinerun 5. Etappe nach Scuol
Extrem viel Spaß auf der 5. Etappe nach Scuol. (Foto: Sportograf)

Xtreme ist Neuhochdeutsch für Extreme. Und das ist der Transalpine Run definitiv, ein Lauf der Extreme. Nicht umsonst wird die Schlange vor dem Zelt der Medical Crew jeden Tag länger. Bilder von knochentiefen Blasen machen die Runde. Ein rotglühendes Schienbeinkantensyndrom hier, eine entzündete Achillessehne da oder ein dickes Knie dort. Extremes fordert seinen Tribut.

Der eine ist bereit mehr zu zahlen, der andere weniger. Manche müssen am Weiterlaufen gehindert werden. Die einzelnen Tagesetappen sind jetzt nichts, was einen Ultraläufer wirklich umhaut. Extrem wird der Transalpine Run dadurch, dass man das sieben Tage am Stück läuft. Der Körper schafft es nicht mehr, sich bis zum nächsten Startschuss zu regenerieren. Tag für Tag kämpft und quält man sich über topografische und mentale Höhen und Tiefen, meist am Limit, manchmal darüber. Die Anforderungen an Geist und Körper sind extrem. Schon die Vorbereitung ist extrem, sonst steht man das nicht durch. Die Logistik, die für den Veranstalter PlanB dahintersteckt, ist extrem. Und die Pastaparty in Samnaun war extrem lecker.

Y – YVONNE

Training ist das Eine, das Rennen das Andere. Man investiert Zeit, Schweiß und Geld im Vorfeld. Beim Transalpine Run brauch man den Rücken frei. Am besten, man muss sich nur um sich selber kümmern. Aufstehen, Trailrunningrucksack packen, frühstücken und ab zum Start. Hinterher zum Hotel kommen, regenerieren, essen und schlafen. Das alles kannst Du nur, wenn Du den richtigen Menschen an Deiner Seite hast.

Meine Frau war Logistikmanager, Reiseleiter, Chauffeur, Physiotherapeut, Sportpsychologin und Cateringservice in einem. Sie war mein Fels in der Brandung, hat mich aufgebaut, als ich Schmerzen und Zweifel hatte und hat mich mit meiner eigenen Freude alleine gelassen, wenn es nötig war. Sie hat meine ganzen Eskapaden im Vorfeld ertragen, hat mich aber auch das ein oder anderen Mal wieder auf den Boden geholt. Lange Rede kurzer Sinn, ich muss meiner Frau danken, dass ich sie an meiner Seite haben darf.

Z – ZIEL

Transalpinerun Ziel 2017
Gemeinsamer Zieleinlauf mit Basti in Sulden am Fuße des Ortlers – Geschafft und doch nur der Start in neue Abenteuer. (Foto: Sportograf)

„Der Weg ist das Ziel“ – selten zuvor hat dieser Spruch besser gepasst als auf den Transalpine Run. Es gibt zwar dieses eine Ziel in Sulden, welches alle Läufer erreichen wollen. Dennoch dachte ich da nicht dran, als Basti und ich uns in Fischen auf den Weg machten. Man steckt sich Zwischenziele – der nächste Pass, die nächste Labestation, die nächste Fankurve oder das Tagesziel.

Dennoch spielten sich in meinem Kopf Szenarien ab, als wir durch den Allgäuer Regen in die Alpen hinein liefen. Ich sah mich in Sulden emotional, weinend, aufgelöst vor Freude im Zielbereich liegen. Das Ziel in Sulden habe ich erreicht. Der emotionale Ausbruch blieb allerdings aus. Zu sicher war ich mir seit dem Zieleinlauf in Scuol, den Transalpine Run zu finishen. Ich saß einfach nur still da, die Finishermedaille hing um meinen Hals und grinste in mich hinein. Ich war unheimlich stolz auf meine Leistung. Ich habe mich meinem inneren Schweinehund gestellt und ihn besiegt. Ich habe Zweifel niedergerungen. Ich war 5. Individual Finisher, gehörte zur erweiterten Spitzengruppe. Eine grandiose Woche ging hier zu Ende, die sich im Nachhinein wie ein Traum anfühlt.

Aber, ich habe meinen Traum gelebt und durchlitten. Ich habe mein Ziel erreicht – und das doch nur, um mir neue Ziele zu setzen.

Titelfoto: Sportograf

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Bergfreund Johannes

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